Gott gehören

Predigt vom 17.11.2024

Römer 14, 7-9

Schließlich: Niemand von uns lebt für sich selbst, und niemand stirbt für sich selbst.  

Leben wir, dann leben wir für den Herrn, und sterben wir, dann sterben wir für den Herrn. Ganz gleich also, ob wir leben oder sterben: Wir gehören dem Herrn.  

Denn dafür ist Christus gestorben und zu neuem Leben auferstanden, daß er im Leben wie im Sterben unser Herr ist. 

Gott gehören

Das alte, klapprige Fahrrad  gehört mir. Erwin hat es mir geschenkt. Er hat sein Eigentumsrecht auf mich übertragen. Jetzt isses meins. Ich kann es behalten oder auch verschenken, bei ebay verticken oder verleihen.

Beim Fahrrad ist der Fall klar.

Wem gehöre ich – oder zu wem gehöre ich? Zu was bin ich zu gebrauchen?

Der moderne Mensch gehört nur sich selbst – mindestens bis an den Punkt, wo er das gar nicht mehr selbst entscheiden kann, und wer nur sich selbst gehört, bleibt öfters mal dabei mit sich allein.

Ich gehöre nicht mir – behauptet die Bibel.

1. Nicht ich für mich

sondern

2. Christus in mir

hält uns

3. unlösbar zusammen

1. Nicht ich für mich

„Niemand von uns lebt für sich selbst, niemand stirbt für sich selbst“

heißt es im Text

Leben und Sterben – wir kommen und wir gehen eben nicht allein. Christus verändert die Denkweise. Wir sind gut aufgehoben, nicht alleingelassen, Begleitete, nicht Entsorgte oder Verabschiedete.

In Christus hat unser Lebensraum ein Fenster, ein großes Fenster sogar, zu dir und zu mir, zu den anderen, in die Welt und darüber hinaus in die Zukunft.

In Christus lebt und stirbt der Mensch nicht jeder für sich, sondern wir unter uns, alle in ihm.

Das geht gegen den natürlichen Überlebensdrang, wo jeder um sein Überleben kämpfen muß. Ist aber so!

Christus gewinnt den Kampf um mich. Ich muß nicht für mich sterben, weil er für mich gestorben ist.

Das macht uns frei, frei für den anderen und die Welt, in der wir leben.

Wir sind nicht allein. Wir sind nicht einfach so, wir haben eine Ursache.

Wir sind nicht, weil wir denken oder uns geschaffen hätten, wir sind, weil andere uns geboren haben.

Wir sind nicht aus dem Nichts entstanden, sondern weil wir Eltern haben.

Jedes Leben hat eine Vergangenheit, ein Vorleben, eine Geschichte.

Wir sind, weil uns einer oder eine hat werden lassen.

Nicht ich habe mich gemacht, sondern andere – zweifelsfrei.

Selbst wer abnabelt, muß zugeben, daß er einst an der Nabelschnur gehangen hat.

Die christliche Weltsicht reicht weiter.

Wir sind nicht allein, wir sind nicht zufällig, wir sind nicht zusammenhanglos.

Keiner von uns ist als Robinson Crusoe auf einer Insel geboren. Das Schicksal hat uns unter Artgenossen gestellt, die genauso Mensch sind, genauso Mensch wie ich, genauso komisch daherredend wie ich, genauso blauäugig wie ich, genauso krumme Nase wie ich.

Keiner von uns kann etwas tun, wovon der Nächste nicht mit betroffen wäre. Jeder ist Subjekt und Objekt zugleich. Wir leben nicht zusammenhangslos ins Nichts hinein. Jede kleine Tat findet ein Echo im großen Zusammenhang.

Selbst wenn ich auf eine einsame Insel auswandere, umgibt mich Natur, auf die ich Rücksicht nehmen, mit der ich Gemeinschaft halten muß.

Ich lebe nicht für mich allein. Nicht nur aus logischen Gründen der Vergangenheit, der Gegenwart, sondern auch der Zukunft.

* Wenn ich heute keine Blume pflanze, kann ich morgen nichts verkaufen.

* Wenn ich jetzt nichts lerne, weiß ich nachher nix.

Ich lebe nicht für mich allein.

Was ich gestern getan habe, findet heute eine Reaktion. Was ich heute tue, gibt morgen ein Echo

Christen erkennen ihre Ursache in Gott – geliebt, gewollt, geschaffen in ihm. Nicht ich, sondern

2. Christus lebt in mir

Denn dafür ist Christus gestorben und zu neuem Leben auferstanden, daß er im Leben wie im Sterben unser Herr ist.

Ich gehöre mir nicht, bin fremdes Eigentum, wie ein ausgeliehenes Buch, gemietete Wohnung oder ein Auto auf Leasing.

Ich gehöre mir nicht, bestenfalls zu Teilen. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Ich bin eher auf dem Wege, mein Eigentum zu werden. Die Erkenntnis des Römerbriefs fordert eine große Portion geistiger Wendigkeit.

Gottes Eigentumsrecht – die Freiheit, die Gott dem Menschen schenkt, kann nur als Freiheit im Eigentumsbewußtsein „Christus“ gelebt werden.

Ich bin nicht herausgelöst frei, sondern christusverkettet frei – christusverkettet in meine Vergangenheit, christusverkettet in mein Umfeld, das mich umgibt, christusverkettet in die Zukunft, die es zu gestalten gilt.

Meine Freiheit ist die Freiheit, die Christus mir schenkt. Richtig rum denken zu lernen, das Richtige tun zu wollen – ich bin Teil des „Christus in mir“. Das hat überhaupt nichts mit fromm abgehobenem Dasein zu tun.

Der Theologe Voigt sagt: „Die Christusbezogenheit kann uns nicht zu frömmelnden Sonderlingen machen. Christenleben ist ganz normales, gesundes, weltoffenes, menschliches Leben – aber im weiten Christushorizont.“

Christus ist für mich – ich bin christusenteignet, christusversklavt, christuskontrolliert.

Wenn mein Persönlichkeitsentwicklungsprogramm zum Christusentwicklungsprogramm wird, ist mein Leben wirklich Leben. Alles andere sind Scheinleben, Scheinverwirklichungen, die am Ende eines sichtbaren Lebens eher welkende Vergangenheit sein werden, novembergrau, naß, faulend.

Wir gehören dem Herrn – das Maß und die Art der Christusverwirklichung geschieht von innen, in der Privatatmosphäre „Christus in mir“.

Es kann nicht sein, daß einer für den anderen Anordnungen trifft, wie sich so etwas auszugestalten hat.

Jede Ordnung, auch die kirchliche Ordnung, hat die Gott-Mensch oder Christus-Ich-Privatsphäre zu berücksichtigen.

Christus ist für mich – Teil von mir auf eine ganz persönliche, individuell verschiedene Art und Weise. Die Andersartigkeit der sich gleichenden Christusverwirklichung anzuerkennen, ist die schwierigste Lebensaufgabe.

Je ernsthafter ein Mensch sein Christus-Ich findet, umso sorgfältiger geht er mit dem Christus-Ich des anderen um.

Ich gehöre mir nicht, bin christusgehörig. Er hält alle

3. Unlösbar zusammen

Leben oder sterben – wir gehören dem Herrn

In der schwierigsten Lebenssituation, im Abschiednehmen, steht eine feste Verbindung.

*Ich will jedenfalls nicht in ein schwarzes Loch stürzen. Ich will nicht aufbrechen ins große „Vielleicht“. Ich will nicht irgendwie irgendwo irgendwas – ich will mit Lebenshunger sterben. Ich will die Fortsetzung von der Geschichte leben, die schon angefangen hat.

Mein Leben soll Christusleben bleiben, das, was es immer schon war oder sein sollte.

Der Vertrag zwischen Gott und Mensch oder zwischen Christus und mir ist ein Mietkaufvertrag mit voller Rücknahmegarantie und überaus großzügiger Erstattung des Restwerts.

Gott nimmt es zurück, dieses abgefahrene Leben. Er nimmt es zurück mit Kratzern und Schrammen, mit den zerbrochenen Fenstern und Beulen, die wir so reingelebt haben. Er nimmt mich zurück. Er nimmt mich auf.

Das ist die schönste Botschaft des Gut-aufgehoben-Seins, die weiteste Perspektive, die man denken kann – Verbindung, die dann noch steht, wenn alles andere zusammenbricht.

Unlösbar zusammen – eine Verbindung, die auch dann nicht reißt, wenn der Herbstregen sie aufweicht, der Nachtfrost brüchig macht.

Unlösbar bedeutet: wetterfest. Ich gehöre nicht mir.

Ich muß nicht geradestehen für alles, was danebenging. Dafür steht die Christuspartnerschaft – sein Nein, wo ich ja gesagt hätte und er abstoppt, wo ich reingeschliddert wäre.

Meins bleibt seins – dafür steht nicht mein, sondern sein Wort gerade. Das macht den Unterschied, und das befreit von aller Angst.

Unlösbar zusammen – das ungeheure Ausmaß dieser Verbindung zeigt überdeutlich, daß Gott nicht an die Beschneidung von Privatinteressen denkt, auch nicht an Verbot von Lebenslust. Gerade weil Lebenslust seine tiefste Motivation ist, bietet er  ein Trägersystem über den Tod hinaus, durch die Todesschattenschlucht hindurch.

Mein Leben in seinen Händen – stärker als das heftigste Beruhigungsmittel, das es gibt.

In der Eucharistie wächst diese Erfahrung.

Meins bleibt seins – eigentlich ändert sich nichts. Es bleibt doch alles, wie’s war in diesem Augenblick, in diesem Leben schon war, in der Sekunde, die ich jetzt gelebt hab’, die voller Christusahnung war. Es ändert sich nichts – und doch ist alles anders in dem Augenblick, in dem es Herbst draußen wird, die Äste kahl und die Nächte schwarz werden.

Es ändert sich nichts – und doch alles. Christus ist unlösbar mit mir verbunden. Ich komme nicht zu kurz dabei.

Vertrauen wir uns ihm an. Verwirklicht er sich in mir, gehören wir Gott an. Wir sind dann nie mehr mit uns selbst allein, sondern bestmöglich aufbewahrt, für immer und ewig. Wir gehören Gott. Amen.

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