Rock me, David

07.05.2023 -Br. Markus- 1.Samuel 16, 14-23

Eins, zwei, eins-zwo-drei-vier – man muß nicht unbedingt auf ein Helene-Fischer-Konzert gehen, um zu wissen, wie es ist, wenn die Bassline mit 108 Dezibel aus dem Subwoofer kriecht. Es reicht schon, das Autoradio bis zum Anschlag aufzudrehen – zum Kreischen schön!

Als guter Protestant ist genau da das Problem. Musik darf nur dann laut sein, wenn es Posaunenchor oder Harmonium ist – oder nicht? Wir wissen es nicht, ob es wie große Oper oder der alte Drehorgelspieler ist, die Musik, die uns zum Tanzen bringt oder auch nicht, uns lustig oder müde macht.

Um einen Jimmy Hendrix des alten Israels geht es heute, um einen König, der ein König der Saiten ist und um eine Klangtherapie, die der Schulmedizin schlichtweg den Spoiler weghaut.

1.          Novemberblues

14 Der Geist des Herrn hatte Saul verlassen. Stattdessen schickte Gott einen bösen Geist, der den König immer wieder überfiel und ihm Furcht und Schrecken einjagte.

Der alte König – Saul – in seinen guten Tagen ein großer König, ein Kämpfer, einer, der mitreißen konnte – jetzt aber eher Problembär als König – und das zu einer Zeit, als der Burnout noch gar nicht erfunden war, das Stichwort „Tiefendepression“ unbekannt. Die Freude fehlt ihm, die Freude, die man haben müßte, schaut man auf ein gelebtes Leben zurück. Sie will sich nicht einstellen, die Güte und Zufriedenheit des Alters, die innere Ruhe.

Selbst Martin Luther soll in seinen alten Tagen das Mobiliar zerlegt haben.

So heftig können Schatten der Angst einen Lebensabend verdunkeln.

„Der Geist des Herrn wich von ihm“ – fatal wäre, den Geist Gottes mit jenem Gute-Laune-Geist zu verwechseln, der in unseren Tagen schick ist. Heiliger Geist und euphorischer Geist muß nicht dasselbe sein.  Es wird hier nirgends erwähnt, daß gute Laune die erste Wirkung des Heiligen Geistes ist. Es steht aber auch nicht, daß der Heilige Geist mit einem Lachverbot gekoppelt ist.

Was aber hier steht, ist eine ernstzunehmende Geschichte: Der Geist Gottes weicht zurück. Gott zieht sich zurück. Er ist durchaus da, aber nicht mehr verfügbar, nicht mehr ansprechbar. Gott zieht sich zurück vom alten König, so wie Gott sich immer zurückzieht, wo Menschen anfangen, sich selber zu vergöttern, weil es für ihn die schlimmste Beleidigung ist, wenn ER nicht sichtbar gemacht wird durch uns Menschen.

So wie wir sichtbar werden wollen mit all unseren Gaben und Fähigkeiten, will Gott sichtbar werden durch uns – als Geber der Gaben und Verursacher unserer Größe. Wo wir Gott schattieren durch unser Ego, zieht er sich zurück, fällt der Schatten zurück auf uns, der Schatten der Angst.

Der alte König Saul hatte angefangen, sich selber mehr zu vertrauen als Gott. Große Enttäuschung für Gott. Geht uns doch genauso.

Ich hatte vor Jahren eine Mitarbeiterin, der wir das Blumenbinden beigebracht haben. Als sie damit erfolgreich wurde, hat sie behauptet, sich alles selber beigebracht zu haben. Kann man so machen, muß man aber nicht so machen.

„Ein böser Geist vom Herrn verstörte Saul.“ Ein böser Geist von Gott? Da hat man als normal Glaubender schon ein Problem. Ein böser Geist von dem Gott, von dem die Bibel auch sagt, daß er nur gut und nichts Böses an ihm ist?

Der dunkle Schatten auf der Seele des Königs – eindunkler Geist von Gott?

Er heißt nicht „böser Geist Gottes“ wohl aber „böser Geist, den Gott schickt“ – mindestens also von Gott geduldet, wenn nicht verursacht.

Die Stimmungsschwankungen des alten Königs, die der

2.          König der Saiten

beseitigen soll.

Der alte König ist nicht nur traurig. Er ist tief depressiv. Das ist ein Unterschied. Ein Hohlraum tut sich auf, den er füllen muß – der schwarze Schatten, der nach ihm greift.

Für Schmerzen im Bein gibt es Ibuprofen. Für Schmerzen der Seele sieht es viel schwieriger aus.

Saul braucht eine Droge, ein Medikament, das ihm hilft, den tiefen Absturz seiner Seele hinein ins Bodenlose aufzufangen, erträglich zu machen, Einhalt zu gebieten.

Mit dem König-Sein ist etwas schief gegangen – und Gott ist nicht erreichbar. Der leicht königliche Duft ist verflogen. Das Alter allein nimmt alle Plätze ein, wird unentrinnbar, kälter.

Ein Saitenspieler soll es sein, der das Problem richten soll. Klarer Klang als Psychopharmaka. Klangtherapie statt Pillen oder Tropfen. Ein Saitenspieler soll es sein, der das Gemüt des Königs zurück in die Spur bringt.

Man lädt einen Künstler ein, der bisher nur vor Schafen und Ziegen aufgetreten ist, draußen in der freien Natur. Ein sehr tierlieber Mensch offensichtlich, der zugleich aber ein tapferer Krieger sein soll – spannende Persönlichkeit auf jeden Fall.

Er heißt David – und ist bereits selber zum König gesalbt – was der alte Saul aber zu diesem Zeitpunkt nicht weiß. Der König der Gitarre ist der kommende König Israels. Noch weiß es keiner. Der Geist Gottes, der sich vom alten König zurückgezogen hat, ruht jetzt auf ihm, dem kleinen Troubadix aus der Provinz, der nicht viel darstellt. Der Funke des Heiligen Geistes ist schon übergesprungen auf einen, der offene Hände dafür hat, ihn nicht verschmäht hat wie der alte König.

Der Funke des Heiligen Geistes springt über. Er ist völlig frei. Deshalb kann es keine Systeme geben, ihn zu erleben.

Der Funke der Musik kann wohl von einem Saitenspieler erzeugt werden, um auf sein Publikum überzuspringen, das darf ich als Hobby-Gitarrist aus eigener Erfahrung sagen.

Der Funke des Heiligen Geistes wird von Gott erzeugt, kann also nur von ihm auf uns überspringen. Selber-Gitarrieren ist hier möglich, macht aber nicht glücklich. Einzustimmen, sich berühren lassen, sich entfachen lassen oder mitzuschwingen ist unsere Aufgabe. Dort, wo diese Rangordnung durcheinanderkommt, ist bestenfalls religiöse Stimmungsmache. Heiliger Geist geht von Gott aus, bestimmt selber seine Richtung und das Datum, wo und wie er auftrifft. Wo das verwechselt wird, zieht Gott sich zurück.

David bringt Saul ein Stück innerer Ruhe zurück. Was aber bleibt, ist der Hohlraum der Entfremdung zwischen Saul und Gott. Es wird nicht wieder gut zwischen dem alten  König und Gott.

Aber es gibt den

3.          Taktschlag der Hoffnung

Musik

Gib mir Musik“ singt Reinhard Mey

alles Gemeine ist verklungen,

die Mißerfolge, die Demütigungen,

die bittre Niederlage ist in Wirklichkeit ein Sieg.

Gib mir Musik, gib mir Musik,

gib mir Musik, gib mir Musik.“

Ich persönlich glaube nicht an die allein seligmachende Kraft der Instrumente – schon eher daran, daß es eine empfehlenswerte Droge ist, die man sich nicht nur genehmigen kann, sondern soll.

Nicht, weil heute der Sonntag Cantate ist, sondern weil diese Droge zwar süchtig macht, aber nicht gesundheitsgefährdend ist – ganz im Gegenteil schon bei alten Königen gewirkt hat. Man muß sich ja nicht auf jeden Saitenspieler einlassen, der als Künstler daherkommt.

Vom alten König Saul wird gesagt „Es wurde ihm weit ums Herz“. Für diesen Anwendungsfall wird Musik gemacht. Nur mit einem weiten Herzen gelingt es, die Hände wieder zu öffnen. Es braucht ein weites Herz, um aufzubrechen aus dem Gefängnis, aus den Kerkermauern, über die Schlagbäume, Gräben und den Stacheldraht hinweg.

Es braucht ein weites Herz, um sich selber loszulassen in die Hände eines Meisters, der den Rhythmus macht, den Taktschlag des Lebens, der in jedem Herz pulsiert.

Von dieser Musik darf es ruhig etwas mehr sein – je lauter, umso besser, wenn es am Ende der Straße nicht mehr weitergeht. Da darf es ruhig der zutiefst fromme Wunsch sein: „Rock me, David.“ Amen.

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