Duell im Morgengrauen

16.04.2023 -Br. Markus- 1. Mose 32, 23-32

Es ist noch dunkel draußen, nichts regt sich. Der Fluß rauscht, ein bißchen auch der Wind, der unsichtbar leise an den  Wänden der Schlucht entlanggleitet und seinen Weg nicht zu finden scheint – hinaus in das weite Tal. Da – knallt nicht etwa ein Schuß – ein Schatten löst sich heraus aus der Dunkelheit, bedrohlich, und beginnt ohne Vorwarnung einen Kampf, Mann gegen Mann, Faust um Faust.

Noch ist es dunkel, man kann nicht sehen, wer kämpft, nur daß es ein zähes Ringen ist. Noch ist ja  kein Licht. Die Taschenlampe war noch nicht erfunden.

Es ist ein Kampf in der Finsternis, in der Nacht, wie eine mystische Erfahrung fast, wie ein Ringen um Gewißheit, wie ein Gebet.

Was genau es ist, sieht man noch nicht, nur, daß es ein harter Kampf ist.

Jakob am Jabbok mit Gott.

1.          Niedergeboxt

Das kann wohl nicht wahr sein. Die meisten Menschen glauben das einfach nicht, daß Gott einer ist, der k.o. schlagen kann – ein schwieriger Gedanke, kaum zu ertragen.

Gott hat gefälligst einer zu sein, der uns bei leiser Musik und Kerzenschein ein wohlig warmes Räuchermännchengefühl zu liefern hat Sorte Saunaglück.

Irgendwie kann das nicht sein und darf das nicht sein, daß Gott einer ist, der wie Räuber Hotzenplotz zu agieren scheint. Irgendwie stimmt da was nicht, daß der Gott, der für mich ist, gegen mich kämpft.

Paßt irgendwie nicht – oder?

Gott, der unser Freund ist, kann nicht zugleich unser Gegner sein – oder nicht?

So schwierig, wie es aussieht, ist es aber nicht. Es macht nur den entscheidenden Unterschied zwischen wirklicher Gotteserfahrung oder Selbsthypnose. Man kann Gott nicht wirklich erleben, wenn man ihm eine Rolle zuweist, die er zu spielen  hat.

Ich kenne einige auch sehr religiöse Menschen, die setzen Gotteserfahrung mit Wellnesserfahrung gleich. Genau das funktioniert aber nicht, weil sich immer dann ein Gottverlassenheitsgefühl einstellt, wenn ich schwitze, friere oder müde bin, abgekämpft.

Eine echte Gotteserfahrung ist keine Gefühlssache. Wer ein Wellnessgefühl durch religiöse Übungen erleben will, ist bei fernöstlichen Philosophien besser aufgehoben. Dort kann man durch spezielle Atemtechnik in eine Art inneren Rauschzustand gelangen, der dazu hilft, das Unterbewußtsein umzugestalten.

Der christliche Weg ist von einer größeren Offenheit geprägt, der Gott Gott sein läßt, also auch ganz anders, als ich ihn erwarte: als mein Gegner.„Ich mußte erkennen, daß es Gott ist, der mich in meiner Krankheit Aids anschaut.“ schrieb Marcus Commercon in seiner Biografie.

Er macht damit klar, daß echte mystische Erfahrung eher wenig mit persönlichem Wunschdenken zu tun hat. Jakob kämpft gegen Gott einen Kampf, den jeder Mensch kämpft, wenn auch jeweils auf ganz andere Art. Klar dabei ist, daß es nicht um Rauscherlebnisse der anderen Art geht, sondern um ganz bewußte Auseinandersetzung mit dem Ernst des Lebens. Anders wäre Religion tatsächlich Opium für`s Volk. Nur wo ich mich ganz öffne, kann echte Gotteserfahrung möglich werden. Da sind sich alle Mystiker aller Religionen und sogar Philosophien einig. Jakob erkennt, daß Gott kein Kuschelbär ist, sondern einer, der k.o. schlagen kann. Das ist eine mystische Erfahrung, die prägenden Charakter für die christliche Lehre hat und zur Wirklichkeitsnähe des Glaubens beiträgt.

Wir sind

2.          Hart aufgemischt

Man muß dazu nicht in die tiefen Schluchten des vorderen Orients gehen, um böse überrascht zu werden. Da sind es schlimme Krankheiten, schwere Unfälle, die Menschen überraschen wie ein schwarzer Schatten in der Nacht. Man muß nicht 80 Jahre alt werden, um Krebsdiagnose oder ähnliches zu erhalten. Ja, es trifft sogar Kinder und unschuldige Menschen über Nacht.

Es geht weniger um eine Erklärung, als viel mehr um den Kampf. Ich kann natürlich mit der „Alles-wird-gut-Walze“ versuchen, mich zu beruhigen. Aber auch, wenn mir alles zum besten dient, fühlt sich nicht alles gut an. Es ist eine Diskussion so alt wie die Menschheit: Kämpfe ich oder ertrage ich?

Lethargie oder Aktion? Jakob kämpft. Er ist ein Kämpfertyp. Er tritt am Jabbok gegen einen schwarzen Schatten an, der in der Dunkelheit der Schlucht nicht zu erkennen ist. Er weiß am Anfang nicht, daß es ein überlegener Gegner ist, einer, gegen den keiner je gewinnen kann. Er tritt an und kämpft die ganze Nacht. Er tut, was jeder von uns tun würde: um sein Leben kämpfen.

Ich glaube, daß es nicht nur ein Naturinstinkt ist, um sein Leben zu kämpfen, sondern ein Gottesauftrag, eine Bestimmung, für Leben zu kämpfen, wenn nicht der Sinn des Lebens überhaupt. Es wird nicht von alleine gut, und es gibt enorm viel Schlechtes, gegen das auch ich und mit aller Kraft antreten muß – nicht darf, sondern muß.

Es ist zutief christlicher Lebensauftrag, gegen das Tödliche anzutreten. Es wird uns zugemutet, tödliches zu erkennen, tödliches zu benennen und tödliches zu bekämpfen – auch und gerade, wenn es die ganze Nacht dauert, uns total überfordert und schrecklich unbequem ist, den Schlaf raubt, den Nerv tötet oder total auf den Senkel geht.  

Genau dann gilt es, anzutreten als Gegengewicht. Nicht deshalb, weil ich etwas besseres wäre, sondern weil ich erkennen muß, daß Gott nicht mein Gegner ist, sondern ich Gottes Gegner bin, derjenige, der sich selber bezwingen muß und seinen Irrtum über die Welt und Gott selbst.

Der Kampf des Jakob ist auch mein Kampf. Es ist der Kampf, den ich kämpfen muß, damit meine Schatten und meine Dunkelheiten und die Tür tief in mir, die in den Abgrund führt, besiegt wird. Es wird nicht ohne mich und von alleine gut, sondern nur mit mir und durch mich, indem ich bereit bin, den Kampf aufzunehmen. So einfach ist es nicht. Es entsteht dabei so manche

3.          Narbe, die bleibt

Wie das so ist, weiß man erst, wenn man selber mal eine draufgekriegt hat. Wenn man plötzlich im Rollstuhl sitzt oder die Krücken braucht, fallen einem ganz andere Dinge auf.

Als am Morgen die Sonne aufgeht, ist Jakob ein anderer: Er hinkt. Ihm bleibt ein sichtbares Gebrechen aus dem unsichtbaren Duell.

„Ich lasse dich nicht eher los, bis du mich gesegnet hast!“ Jakob trotzt seinem Gegner noch in der Dunkelheit den Segen ab, den Segen, den nur Gott geben kann, den Segen, der mehr ist als nur ein frommer Wunsch, den man sich zuspricht.

Es ist jenes unsichtbare Erfolgsgeheimnis, das zum sichtbaren Gelingen des Lebens hilft, das den Abschluß und den Höhepunkt des Gottesdienstes bildet, der Segen, der uns begleitet bei allem Tun und Denken.

Als die Sonne aufgeht, gesteht Gott Jakob diesen Segen und einen Sieg zu.

„Du hast schon mit Gott und mit Menschen gekämpft und immer gesiegt.“

Ein Sieg und einen neuen Namen – Jakob wird zu Israel, der „Betrüger“ heißt jetzt „Gotteskämpfer“.

Als die Sonne aufgeht, bildet sich neue Gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Ringenden. Es bleibt kein Toter zurück bei diesem Duell und kein Verlierer.

Es ist kein Sieg gegen Gott, sondern ein Sieg mit Gott, ein Sieg, der uns motivieren soll, gemeinsam zu ringen, um durchzubrechen zur Barmherzigkeit Gottes. In Christus geht diese Sonne auf und schafft das Größte, das es geben kann: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Dieser Satz eignet sich in jeder Nacht, wenn wir am Grenzfluß unseres Lebens ganz im Dunkeln stehen und ein dunkler Schatten angreift  – immer dann sind wir der Siegertyp, der Siegertyp, der hinkend zurückbleibt. Amen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert