Kreuz, ich liebe dich

1. Kor. 1, 23-25

Wir Menschen leiden. Das ist keine spektakuläre Neuigkeit, sondern eine altbekannte und völlig offensichtliche Tatsache, mit der wir immer wieder konfrontiert werden. Dabei gibt es ganz verschiede Arten von Leiden. Wenn ich abends zu viel gegessen habe, dann leide ich unter Schlafstörungen, weil mein Magen Schwerarbeit leisten muss. Wenn ich unter einer Maskenpflicht leide, leide ich unter meiner persönlichen Auffassung, die ich zu diesem Thema habe. Es gibt Leid, das wir uns selbst und anderen zufügen, das nicht mit dem Leid zu tun hat, das wir heute anschauen wollen.

1. Das verstehe ich nicht

Am Kreuz sterben, ist für die Juden eine Gotteslästerung und für die Griechen blanker Unsinn.

Wie kann ein Gott der Liebe, soviel Leid auf dieser Erde zulassen? Wer will in einem Folterwerkzeug wie dem Kreuz schon etwas Gutes erkennen? Zu allen Zeiten haben die Menschen ein Problem mit dem Kreuz. Gott und Kreuz passen überhaupt nicht zusammen. Selbst die Theologen beißen sich an der Theodizee-Frage die Zähne aus und verstummen, weil sie keine schlüssige Antwort finden. Der menschliche Geist läuft Amok, über der Vorstellung, dass Gott wohl blutrünstig ist. Unser Harmonie-Verständnis vom lieben Gott, wird auf das heftigste erschüttert.

Was soll darin für ein Sinn liegen, wenn der Sohn mit 16 vom LKW überrollt wird, zwei Jahre danach der Mann stirbt, die Schwester gerade 44 wird und ein neuer Lebenspartner 15 Jahre später, innerhalb weniger Wochen von einem Bauchspeicheldrüsenkrebs dahingerafft wird? Zurück bleibt eine kontaktfreudige Frau, die sich im Kirchengemeinderat und Prädikantendienst engagiert und tiefe Einsamkeit verspürt. Der normale Mensch kann so etwas nicht verstehen.

Selbst bei Juden und Griechen, bei Frommen und Heiden, ist das Kreuz ein Dorn im Auge. Leid ist schlecht. Leid muss bekämpft und weggebetet werden. Leid hat in einem guten Leben nichts verloren. Ein menschliches Urteil, fällt über Gott her. Ein Mensch zieht Gott zur Rechenschaft. Ein paar Gehirnzellen ermessen, wie Schöpfung zu funktionieren hat. Die Frage, warum lässt Gott den Hagel zu, zeigt, dass sich ein Mensch schwer damit tut, sich der Realität zu stellen.

Leben wird lediglich auf der rationalen Ebene betrachtet, auf der sich der Verstand bewegt. Wer jedoch den heilsamen Zugang zum Leid erfahren möchte, braucht die Kunst, einen Schritt vom natürlichen Denken zurückzutreten und sich einer ganz anderen Weisheit zu öffnen.

2. Wer stirbt, lebt ewig

Christus, der von Gott erwählte Retter, musste am Kreuz sterben. Was Gott getan hat, übersteigt alle menschliche Weisheit, auch wenn es unsinnig erscheint; und was bei ihm wie Schwäche aussieht, übertrifft alle menschliche Stärke.

Das Kreuz kann kein Mensch verstehen. Leid öffnet jedoch Türen, die über dem menschlichen Horizont liegen. Leid empfinden wir als herrlich paradox zum natürlichen Leben. Der Sinn liegt dabei nicht im Verstehen, sondern im Gott erkennen. Das was alle menschliche Weisheit übersteigt, eröffnet sich nicht im Nachdenken, sondern in der Hingabe an das was ist. Die Weisheit Gottes entfaltet sich, wo der Mensch nicht im Widerstand zu dem steht, was passiert, sondern sich dem Ereignis hingibt. Ich denke in dem Augenblick nicht mehr nach, was Gott tut, sondern ergebe mich seinem Handeln. Ich komme vollkommen in dem an, was ich nicht verstehe, sondern an mir zulasse.

Um in der Weisheit anzukommen, liefere ich mich der absoluten Gottesgegenwart aus. Das Problem, der Schmerz, der jetzt da ist, will nicht meine menschliche Stärke, mein reiß dich zusammen, sondern meine ganze Hingabe. Die Antwort, die das Menschliche übersteigt, kommt aus dem Ja zum Leid. Die völlige Akzeptanz des Unabänderlichen, ist die Türe zur Weisheit. Es geht die Türe zu einer Welt auf, die jenseits der verstandesmäßigen Intelligenz liegt, und zu einem Schauen der Welt Gottes wird. Hier fließt der Strom des Heiligen Geistes. Hier sterben die unsäglichen Fragen in mir: Gott, was tust du mir an? Warum gerade ich? Hier stirbt die Identifizierung mit der materiellen Welt, um im Leid die Quelle des Lebens zu erfahren.

Christus muss am Kreuz sterben, um der Weisheit Gottes Raum auf dieser Erde zu schaffen. Rettung liegt in der Hingabe an das Kreuz. Viktor Frankl sagt: „Es gibt in dieser Welt viel aufzuleiden.“ In der Hingabe an die Widrigkeiten im KZ, erfuhr er im bitteren Schmerz seinen Sinn. Er kam mit dem Teil seines Lebens in Verbindung, der nie sterben kann.

3. Gekreuzigt werden macht weise

Und dennoch erfahren alle, die von Gott berufen sind – Juden wie Griechen –, gerade in diesem gekreuzigten Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

Eine Frau hatte eine Krankheit, bei der sie mehr und mehr ihr Augenlicht verlor. Sie akzeptierte den schmerzhaften Prozess, bald nicht mehr sehen zu können. Ein OP besserte zwar ihren Zustand. Doch wenn diese Besserung nicht eingetreten wäre, wäre es für sie nicht mehr wichtig gewesen. Die intensive Präsenz im Leid gab ihr die Kraft, die unabhängig war vom Verlauf ihrer Krankheit.

Die heilsame Herangehensweise an das Leid klingt sonderbar. Sie heißt, das Leid zu bejahen

  • Bewusst zu leiden
  • Leiden zu umarmen
  • sich erlauben, im Leiden verbrannt zu werden

Das zentrale Bild im Christentum ist ein leidender Mensch. Er verkörpert eine enorme Weisheit, die nicht ausgedrückt werden kann. Der Archetyp des Menschen ist intensives Leiden. Er gibt sich dem Leiden völlig hin. Er leidet ganz bewusst.

Das Bild des leidenden Christus lässt sich schwer in Worte fassen. Es ist die Möglichkeit, wenn einem Leiden widerfährt, bewusst zu leiden, in keinerlei Widerstand zu gehen und sich vom Leiden verbrennen lassen. Das Ego wird im Schmerz verbrannt und daraus kommt ein Mensch hervor, der frei von Leid ist. Eine Krankheit kann fort bestehen, doch viele haben sich darin ergeben und tiefgreifende Heilung erfahren. Der geistliche Zweck des Leidens ist, sich ihm zu ergeben und bewusst zu leiden. Beim Leiden zu sagen, ich leide mit Christus. Ich erlebe das Leid Christi.

Indem ich das tue, komme ich Christus näher und der Geist Christi erhebt sich in mir. Man kann das Bild vom Kreuz auf das eigene Leben anwenden. Sich selbst als diesen Menschen zu sehen, ist die vollständige Akzeptanz des Leidens, um dann in der reinen Gottesgegenwart anzukommen. Die Pforte dafür ist das Folterwerkzeug. Das Folterwerkzeug ist das Symbol, das in das Göttliche verwandelt. Das Kreuz ist beides – Folterwerkzeug und das Tor zum Göttlichen. Das Leid ist die Gnade, die den ganzen Reichtum des Himmels über der Erde ausschütten will. Es ist der heilige Engel, bei dem die schlimmste Katastrophe, die Gaben Gottes ins Leben wirft. Im Schmerz werden wir zu Neuem gebrannt.

Was ist das Geschenk, das gerade in meinem Schmerz zu mir fließen möchte?

4 Responses

  1. Vielen Dank für diese Betrachtung. Es gibt viele Interpretationen des Kreuzes, des Todes von Christus, und alle haben sie ihre Berechtigung. Diese hier spricht mich sehr an,weil sie hilft, das Leiden nicht nur negativ zu sehen ( das man das auch tut, ist menschlich und verständlich), sondern als Weg zu grösseren Schätzen. Ihnen und Ihren Mitbrüdern Gottes Segen! F.

    1. Liebe Franziska,
      das freut mich sehr. Vielen Dank!
      Für mich liegt in dieser Sicht die Fülle von Gnade.
      Es ist die reinste und heilsamste Form der Gottesbegegnung für den Menschen.
      <3 <3 <3

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