Amore statt Vendetta

-Br. Markus-

Lukas 6,27-35

Auge um Auge, Zahn um Zahn  – überall auf der Welt gilt das gleiche Prinzip. „Was Du nicht willst, daß man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.“ Solche oder ähnliche Ratschläge prägen die Menschheit seit ihrem Bestehen. Geboren aus dem Kampf um`s Dasein scheint es kaum eine andere Möglichkeit zu geben, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Fressen oder selbst gefressen werden – ganz gleich, in welcher Religion oder welchem Kulturkreis der Einzelne steht. Es ist eine Art Naturgesetz – oder scheint es zu sein.

Dementsprechend weltfremd wirkt es, wenn Christus eine ganz andere Möglichkeit darstellt – unmöglich, undurchführbar, total schräg. Die Bergpredigt wirkt insgesamt eher wie ein Konzept vom andern Stern. Immer wenn man versucht, auch nur ein bisschen davon ins Leben zu übertragen, geht man damit baden.

1.          Liebe ohne Limit

Im Sport ist es das maximal Erreichbare einer Disziplin. Christus will das maximal Erreichbare in Sachen Liebe – grenzenlos. Das ist schon deshalb verrückt, weil er weiß, wie eng die Grenzen von uns in dieser Disziplin sind. Es ist einfach und schön, die Person zu lieben, die uns die Kiste mit Berlinern bringt. Bei der Kiste Bier gehen die Meinungen schon auseinander. In der Theorie klingt es gut, seine Feinde zu lieben. Wer das schafft, hat aber noch nie richtige Feinde gehabt. Der Feind ist ja deshalb mein Feind, weil er mich haßt, weil irgendwas Trennendes zwischen uns steht, etwas, was nicht überbrückt werden kann, auch wenn man sich noch so viel Mühe macht. Es können die ganz kleinen Dinge sein, die ihn entfesseln, den ganz großen Krieg zwischen mir und Dir. Da muß man nicht weit gehen.

In Nürtingen gibt es einen Anwohner, der stellt nur deshalb abends seine Autos auf die Straße, damit wir dort unseren Anhänger nicht abstellen können auf der Durchfahrt nach Kirchheim. Obwohl die Familie mehrere gut ausgebaute Parkplätze auf ihrem Grundstück hat, fährt er extra abends die Autos der Familie auf die Straße. Er will nicht, daß wir auf seinem Teil der Straße parken. So einem Giftzwerg würde ich doch viel lieber die Gartentür eintreten oder die Balkonkästen mit Unkrautvertilger gießen, als nett zu ihm zu sein. Der tickt einfach ganz anders als ich, und ich sehe eigentlich gar nicht ein, was es bringt, sich mit so einem Vollpfosten überhaupt auseinanderzusetzen. Ich weiß nicht, was genau der liebe Gott bei diesem Schrebergartentyp falsch gemacht hat, aber irgendwie ist er total falsch programmiert, mindestens aber ganz anders als ich.

Das Schlimme daran ist, daß ich jeden Tag eine ganze Menge Leute treffe, bei denen es eher schwer fällt, sie zu lieben. Manchmal reicht schon ein ganz normaler Kunde aus. Zum Glück liegt`s ja nicht an mir, sonst müsste ich mir noch Gedanken machen (rein rhetorisch, versteht sich.) Aber es ist schon eher eine brasilianische Idee Gottes, seine Feinde zu lieben – oder nicht?

Dabei kann ich verstehen, daß es Leute gibt, die meine orangefarbenen Orchideen nicht gut finden, das Glockengeläut für zu laut halten, meine Nase für zu krumm und meine Haare zu braun.

Ich versuche, Leute zu verstehen, die Donald Trump wählen oder Putin, vielleicht auch noch Erduan, aber irgendwann ist dann auch mal gut. Man soll sich ja nicht in die Tasche lügen und Verständnis heucheln, wo es nichts zu verstehen gibt. Es gibt immer und für alles eine Erklärung, aber nicht immer eine, die ich verstehen kann.

Gott liebt auch da, wo nichts ist, was der Liebe wert wäre sagt Voigt und führt aus, daß alles, was Gott an seinen Menschenkindern auf allen Kontinenten täglich tut, nichts anderes ist als konsequente, in endloser Geduld durchgehaltene Feindesliebe. Gott liebt uns ohne Limit, ohne irgendeine Grenze, an die wir stoßen könnten, weil wir eh schon drüber sind. In Christus haben wir mehr, als die maximal mögliche Menge an Sympathie. Das macht uns gleich, gleichermaßen geliebt, weder bevorzugt noch benachteiligt. Gottes Zuneigung ist größer, seine Grenze weiter als meine je sein könnte.

Es ist diese Liebe allein, die uns

2.          Gegenschlagsaktiv

macht.

„Wie du mir, so ich dir.“

Stehen wir in Christus, heißt es anders. „Wie du mir, so ich euch.“ – Amore statt Vendetta. Es geht nicht darum, Liebe zu äußern, sondern zu tun. Unsere Reaktion soll ein Ausbruch sein aus der Abwärtsspirale der gegenseitigen Enttäuschung. Wo Auge um Auge ausgeschlagen wird, bleiben am Schluß nur blinde, zahnlose, tote Wesen übrig. Es gibt viele logische Gründe, die Spirale der Gewalt zu verlassen, es gibt aber auch viele logische Gründe, die Spirale der Gewalt zu behalten. Ohne Recht und Gerechtigkeit geht es nun einmal nicht.

„Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen.“ – die andere Backe hinhalten

Geld verleihen, das nicht zurückkommt, die Kleidung weggeben. Es ist ein konkreter Maßnahmenkatalog, den Christus vorstellt. Aber spätestens dann, wenn man sein ganzes Geld verliehen hat, stellt sich die Frage, wie es weitergeht, wenn nichts zurückkommt. Unser Gegenschlag, unsere aktive Liebe steht ja immer im rauen Wind der Wirklichkeit. Deshalb ist eine logische Einsicht auch viel zu wenig, um irgend etwas in die richtige Richtung zu bewegen. Es gibt eine unbegrenzte Menge psychologischer Deeskalationsprogramme, die alle auch schon ganz gut sind, aber nichts zu tun haben mit dem, was Christus will. Es geht ihm darum, den anderen so zu lieben, wie Gott ihn liebt. Es geht nicht darum, zu erkennen, daß der andere einen Mantel braucht, es geht darum, mit ihm zu frieren. Es geht nicht darum, zu verstehen, warum der andere anders urteilt, sondern darum, sich auf seine Andersartigkeit einzulassen. Es bringt nichts, sich verkloppen zu lassen, aber es bringt schon etwas, wenn man bereit wird, die eine oder andere Narbe in Kauf zu nehmen.

Die Bergpredigt fordert mit allen ihren Impulsen mehr Mut, als der Einzelne haben kann. Christus will damit ja auch kein starres neues Gesetz kreieren nach dem Motto „Je sozialer, umso heiliger“. Er will die schöpferische Liebe Gottes lebendig machen. Dazu ist das Verständnis nur die eine Seite. Die Bereitschaft, sich aktivieren zu lassen, ist die andere. In Christus entsteht ein neues Sein,  das Leben, das nicht aus der Abwärtsspirale der Enttäuschung, sondern aus der geschenkten Barmherzigkeit entsteht.

Das ist ein Lebensprogramm für alle, die mutig genug sind, sich als Sünder unter Sündern zu begreifen. Den Feind zu lieben gelingt mir erst, wenn ich begreife, daß ich selbst auch Feind bin. In Christus begibt sich Gott weit aus seiner Komfortzone heraus. Er stirbt aus Liebe zum Feind. Diese Hingabe lässt sich nie verstehen. Sie lässt sich nur erleben und weitergeben. Für uns leidet Gott in Christus. An seiner Seite werden wir verletzbar – eben dadurch, daß wir den Mut haben, es geschehen zu lassen. Es soll nicht mit geballter Faust in der Tasche geschehen, sondern aus der Liebe Gottes heraus, die stärker ist als der Haß, der uns umgibt. Es geschieht in uns und soll durch uns geschehen, am anderen, in dem Maß, in dem wir bereit sind, die damit verbundenen Verletzungen hinzunehmen. Es ist keine sinnfreie Selbstkasteiung, sondern bewusste Gestaltung mit Blick auf eine bessere Welt.

Das macht christliche Gegenschlagsaktivität aus, daß sie bereit wird, auf Schläge zu verzichten und dabei

3.          Heute schon romantische Zukunft

ist.

Nicht Auge um Auge, sondern Herz um Herz ist Gottes Plan. Die Zukunft soll eine bessere sein – mit uns und durch uns, aber auch mit dem anderen, dem lästigen Typen, der dazu genauso ungeeignet ist, wie ich selbst. Das geht nicht ohne weiteres, sondern tut weh, so wie ich dem anderen weh tue und er mir. Gottes Liebe erschafft uns, diese Welt zu lieben, inklusiv der Schmerzen und Probleme, die das macht.

Es ist dabei nicht der Plan, daß die Christenheit zum Müllschlucker aller Entgleisungen dieser Welt wird. Gott verschließt uns nicht die Augen und die Ohren. Seine Liebe ist genauso der Impuls, der wch macht, das Unrecht der Welt zu benennen und zu bekämpfen. Es wäre wohl ein Missverständnis, wollte man glauben, daß die Welt durch unsere Hingabe zu einer besseren werden würde. Blauäugigkeit ist da nicht angebracht. Die Bergpredigt ist kein 10-Punkte-Plan, wodurch die Welt durch unser Leiden immer besser würde. Unabhängig von unserem Bemühen wird die Mafia Mafia bleiben und all die anderen Schurken auch. Zurecht lieben oder –leiden wird sich die Welt nicht lassen. Zu viele andere Interessen bleiben im Weg stehen.

Wir sind dazu gerufen, gegenschlagsaktiv zu werden, durch unser Leben und Handeln Zeichen zu setzen, das Gesetz der Vergeltung zu durchbrechen und einen Hinweis zu leben auf Gottes bessere, freiere Welt. Weniger gegen das Alte protestierend, als für das Neue demonstrierend“ wie es der Theologe Karl Barth formuliert. Zukunftsgewisse Liebe bezeugt tathaft, das Gottes Reich kommt. In ihr herrscht Amore statt Vendetta. Ein Aufruf an uns, das täglich zu gestalten.

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