Tief in mir

 – Pfingsten – Br. Markus – 1.Kor. 2, 12-16

 

Ich kann ihn nicht sehen. Ich kann ihn nicht hören. Ich kann ihn nicht greifen – und doch ist er da, unsichtbar zwar, aber er erfüllt mich, ist immer da, Teil meiner selbst. Das, was mich zum Tun treibt – jeder Mensch hat ihn – oder etwas, was ihn antreibt, etwas, das mich genauso unruhig wie fröhlich macht, ängstlich oder hell wach, ja sogar übermütig. Der Geist eines Menschen ist unsichtbar – was aber keinesfalls heißt, dass er nicht da wäre. Die tolle Idee, der riesige Schreck, die bange Erwartung – all das sind Dinge, die tief in mir rumoren, meinen Geist herausfordern oder einschläfern, meine Seele betrüben oder erfreuen. Mein Geist ist unsichtbar, ist trotzdem da, trotzdem wichtiger Teil meiner selbst und jeder Entscheidung, die ich treffe. Rätselhaft oder glasklar kann er sein, so wie ich, der ich heute nicht weiß, was heute auf mich wartet und wie ich mich entscheiden werde. Tief in mir ist mein Geist, der mein Tun und Lassen prägt.

Tief in Gott ist sein Geist, der in ihm atmet und lebt und unseren Geist mitnehmen will zum Abenteuer des Glaubens. Tief in mir will Gottes Geist ein Zuhause finden, in meinem Bewusstsein zur formenden Struktur werden im weiten Spielfeld des Lebens.

1.          Scharfes Sehvermögen

Wir haben nicht den Geist dieser Welt bekommen, sondern den Geist Gottes. Was wir euch verkünden, kommt nicht aus menschlicher Klugheit, sondern wird uns vom Geist Gottes eingegeben.

Paulus legt Wert auf klare Kontur. Zuerst betont der den Unterschied, das Trennende, nicht das Verbindende zu meinem Geist. Somit ist zuallererst eines klar: Gottes Geist ist anders. Gottes Geist unterscheidet sich. Es gibt etwas Trennendes zwischen meinem und dem Geist Gottes. Diese Erkenntnis ist deshalb so wichtig, weil bei Verwechslung der Geister der religiöse Wahnsinn sehr schnell im Boot ist. Mein Geist ist nicht Gottes Geist – obwohl beides in mir wohnen kann. Gott ist anders als ich. Er kann mit mir derselben Meinung sein, muss es aber nicht. Da ist kein Spielraum für Wunschvorstellung, sondern klare Kontur.

Mein Geist, der Geist dieser Welt, der Geist Gottes sowie sonstige Geister unterscheiden sich voneinander – manchmal ein wenig, oft aber deutlich. Es hat einen Grund, dass Paulus so viel Wert auf klare Trennung legt. Der Heilige Geist Gottes hat vor allem eine trennende Wirkung. Er mutet uns zu, dass wir unterscheiden. Es führen zwar viele Wege nach Rom – wie das alte Sprichwort sagt – aber eben nicht alle. Es führen noch mehr Wege an Rom vorbei – sozusagen in die Prärie, oder schlimmer noch, in die Wüste. Deshalb schafft der Geist Gottes klare Kontur. Er will tief in mir klare Struktur, was sein oder mein Geist ist. Was ja nicht heißt, dass man nicht zusammen etwas reißen könnte. Er will aber keine Verwechslung. Zuviel ist schon dabei schief gegangen in der Geschichte der Kirche, dort, wo mein Geist und sein Geist verwechselt wurde. Zu schnell ist man dabei, das eigene Erkennen und Beurteilen zum Maß der Dinge zu machen. Das, was mir gefällt, das, was mir gut tut, das, was mir angenehm ist, kann der Geist Gottes sein, aber eben auch nicht.

Geist Gottes kann auch in dem sein, was mir weh tut, mich überfordert oder fertig macht. Mein Geist und Gottes Geist können so verschieden sein, wie zwei linke Sofafüße. Natürlich wohnt in jedem Menschen der Atem Gottes, aber nicht jedes Kribbeln im Bauch ist heiliger Geist, sondern viel eher meine ganz persönliche Gefühlsregung, die ja durchaus ganz angenehm sein kann, aber eben nicht heiliger Geist ist. Geist Gottes schafft kritischen Abstand zu meinem Geist und allen Geistern um mich herum. Geist Gottes schenkt prüfenden Blick, selbstkritische Wahrnehmung zu allererst. Ich denke, was ich eben denken kann aufgrund meiner Intelligenz, Erziehung, Ausbildung oder Fantasie. Gottes Geist hat weitaus mehr im Angebot. Er ist ein klarer Wegweiser zwischen tausend guten Ideen, die um mich werben. Was ich wünsche und träume, muss nicht zwangsläufig dasselbe sein, was Gott sich von mir wünscht.

„Gerade im Fromm sein gewinnt die Sünde ihre gefährlichste Gestalt.“ sagt der Theologe Voigt, „weil es der fromme Mensch war, der Christus ans Kreuz geschlagen hat.“

So führt der heilige Geist in die höchste Achtsamkeit zu meinem eigenen Geist, um jede Art von Kreuzigung aus religiösem Eifer zu vermeiden. Der Heilige Geist schärft unser Sehvermögen auf das, was Meins ist und was nicht. Gott ist die Wertskala, nicht ich. Er erinnert mich an meine Gottvergessenheit in allem, was ich bin und plane. Die Welt und ich – wir können nicht erkennen, was Gott will und was nicht, selbst wenn ich täglich 28 Stunden meditiere. Gott erschließt sich mir nie aufgrund meiner frommen Bemühungen. Der Heilige Geist beschenkt mich von sich aus. Er weht, wo er will und ergreift mich, wenn es ihm gefällt, nicht da, wo ich es anordne und auch nicht da, wo ich es ersehne. Zum Tanzschritt heraus aus erstarrter Gewohnheit kommt es nur dort, wo ich mich ergreifen lasse. Das ist nicht trainierbar oder lernbar. ER erreicht mich, nicht ich ihn.

ER schenkt mir

2.          Erleuchtete Augen

Der Mensch kann mit seinen natürlichen Fähigkeiten nicht erfassen, was Gott sagt. Für ihn ist das alles Unsinn, denn Gottes Geheimnisse erschließen sich nur durch Gottes Geist. Im Fernsehen wird behauptet „Mit dem Zweiten sieht man besser“.

Ich behaupte: „Mit dem dritten sieht man besser.“ – Mit dem dritten Auge, also dem Auge, das keiner hat, gelingt es, Gott zu sehen. Nennen wir es das Auge des Herzens. Der Heilige Geist erleuchtet das Auge unserer Herzens. Mit dem allein gelingt es, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Es ist ein weiter Weg da hin, um zu verstehen, dass ich einer bin, der selbst mit offenen Augen manchmal das eigentlich Wichtige übersieht. Es ist ein weiter Weg, zu begreifen, das ich einen brauche, der all die Rollläden aufmacht, die mein Haus verdunkeln. Der Heilige Geist Gottes bringt helles Licht ins umnachtete Zimmer meines Verstandes – eben weil es darin viele Dinge gibt, die man nicht begreifen kann. Es kommt bei Gott sowieso viel weniger auf das Begreifen an, viel mehr aufs Sich-ergreifen-Lassen. Gott erleuchtet das Auge unseres Herzens. Nicht ich kann sehen, sondern Gott zeigt mir die Not des anderen so, dass ich sie sehen lerne. Ich kann sehen, was der andere braucht. Das ist eine der ganz großen Gaben des Heiligen Geistes, dass das Auge meines Herzens wieder offen steht. Ich achte nicht so sehr auf das, was ich brauche, sondern ich kann sehen, was dem anderen fehlt. Das dritte Auge, das Gott öffnet, ist das Auge der Barmherzigkeit. Es ist ein erleuchtetes Auge, das es schafft, durch die Fassaden und Mauern hindurchzusehen, die Menschen um sich aufrichten. Ein erleuchtetes Auge sieht die Not hinter der Mauer der Arroganz. Ein erleuchtetes Auge sieht das Elend in der chromglitzernden Verpackung. Ein erleuchtetes Auge sieht all den Streit in rosa Vorhängen der Gemeinsamkeit. Das erleuchtete Auge sieht, ohne herabzuschauen. Es sieht mit dem Auge Gottes, das voll unbegreiflicher Liebe zu gefallenen Menschen ist. Es sieht die Sehnsucht, die immer ist, wo Menschen sind, die Sehnsucht nach ein bisschen Paradies. Das dritte Auge, das der Heilige Geist uns öffnet, ist das Auge eines verrückten alten Mannes, der so liebt, wie nur einer lieben kann, Gott selbst – ohne jeden Hinterhalt und ohne jeden Vorbehalt.

So ist Pfingsten das Fest eines offenen Auges für die Not in der Welt, dem Weltgeist entgegen.

3.          Es fesselt und befreit zugleich

Der von Gottes Geist erfüllte Mensch kann alles beurteilen. Er selber aber ist keinem Urteil unterworfen. Es sind nicht die gewaltigen äußeren Begleiterscheinungen, es sind eher ganz leise, kleinere Vollzüge, tief in mir, die sich ereignen, wenn Gottes Geist mich ergreift.

Augustinus sagt: „Liebe – und dann tue alles, was du willst.“

Der Heilige Geist bringt Gott in unser Herz. Das heißt: Wir tragen dadurch Gott mit uns herum, an jeden Platz, an jeden Ort. Er befreit uns zu einer Sympathie, die wir selbst nicht aufbringen können und er fesselt zugleich an eine Verantwortung, in der das neue Leben steht, das Leben mit geöffneten Augen. Tief in mir lebt eine neue Sichtweise, die Sichtweise eines großzügigen Schöpfers, nicht die eines ängstlichen Verbrauchers. Wer befreit ist zu sehen, ist gebunden, zu helfen. Wem Gott das Auge aufmacht, der kann es nie mehr schließen, auch nicht, wenn er will. Der Heilige Geist fesselt den Blick. Es gelingt dann nicht mehr, wegzuschauen. Wer wegschaut, sieht nichts richtig. Der Heilige Geist erfüllt und erfasst. Tief in mir wächst ein neuer Maßstab. Ich beginne, nachzumessen, was in den Augen des „ganz anderen“ wirklich Wert hat – in Gottes Augen.

Es muss dann nicht die große Oper sein, die sich an Pfingsten ereignet. Es beginnt ganz klein, was sich in mir ereignet und doch so große Veränderungen hat – dann, wenn ich es wirklich begreifen kann, was mir von Gott geschenkt ist. Es ist die an und für sich schlichte und doch so faszinierende Gewissheit: Ich bin von Gott geliebt. tief in mir.

 

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