Sing dich frei

 

-Br. Markus-  Apostelgeschichte 16, 23-34

Nachdem sie so misshandelt worden waren, warf man sie ins Gefängnis und gab dem Aufseher die Anweisung, die Gefangenen besonders scharf zu bewachen. Also sperrte er sie in die sicherste Zelle und schloss zusätzlich ihre Füße in einen Holzblock ein. Gegen Mitternacht beteten Paulus und Silas. Sie lobten Gott laut und die übrigen Gefangenen hörten ihnen zu….

 

Sing dich frei

„Wer nicht singen kann, soll drauf pfeifen.“ empfiehlt Klaus Klage, der Philosoph.

Das ist sicher gut gemeint, hilft aber nicht in jeder Lebenslage. Hinter Kerkertüren nützt es rein gar nichts, wenn man auf sie pfeift, und je nach dem, wie gut einer singen kann, ist selbst der virtuose Gesang zum Öffnen von Türen normalerweise eher ungeeignet, es sei denn, man besitzt ein modernes Handy, das schon mit Sprachsteuerung ausgerüstet ist. Noch zwei, drei Jahre, dann kann jeder die eigene Haustür mit einem kleinen Liedchen öffnen. Helene Fischer eignet sich besonders zum Öffnen von Garagentoren (mein Tipp).

Wie auch immer, Paulus und Silas haben diese Möglichkeit nicht. Ihre Situation ist alles andere als zum Singen.

1.          Die Melodie aus der Dunkelheit

„Gegen Mitternacht beteten Paulus und Silas, sie lobten Gott laut, und die übrigen Gefangenen hörten ihnen zu.“

Ein Lied erklingt in der Nacht, im Knast, in der Dunkelheit. Das ist nicht die Idee von zwei Spinnern, die eben mal auf sich aufmerksam machen wollen, sondern Realität. Paulus und Silas singen im Knast. Zwei Männer, die sich aufgemacht haben, den auferstandenen Christus in die Welt zu tragen , sind eingefahren in den Bau – irgendwie vorbestraft – nicht, weil sie gepredigt haben, vielmehr, weil sie einigen ortsansässigen Geschäftsleuten in die Quere gekommen sind. Sie sitzen völlig zu Unrecht, ohne ordentliches Verfahren, ohne Straftat. Ihre Lage ist kritisch. Sie wurden nackt ausgezogen, brutal ausgepeitscht und in einen Holzblock eingespannt, von dem man weiß, dass er folterähnliche Wirkung hat, weil er durch die unnatürliche Körperhaltung zur Beeinträchtigung des Blutkreislaufs führt, somit starke Schmerzen verursacht. Schon allein am Auspeitschen sind zur damaligen Zeit viele gestorben. Man muss sich nur einmal auf dem Hohen Urach ein Burgverlies anschauen, um ein Gefühl davon zu kriegen, wie sich Knast vor zweitausend Jahren angefühlt hat. Da ist nicht mal drei Sterne-Standard – ohne Klo, ohne Dusche! Mitternacht – da ist nicht nur äußere, sondern auch innere Dunkelheit. Warum lässt Gott das zu? Man hatte sich für Christus mit Christus auf den Weg gemacht – und dann hat da niemand „Danke“ gesagt, keiner Beifall geklatscht. Es sieht übel aus für zwei, die doch mit guter Absicht gestartet sind. Fragen über Fragen – Fragen, die in solchen Nächten quälen, sind nicht leichter Art. War alles ein Irrtum? Ist das Böse am Ende doch stärker, mächtiger als Gott?

Nacht in der Seele, Nacht in den Gedanken, Schmerzen trüben den Sinn. Wo ist er dann, der auferstandene Christus, wenn er seinen Leuten so was zumutet – das große Warum? Eigentlich ein Kündigungsgrund – Gott kündigen, sic abseilen, aus dem Staub machen, sehen, dass man was Besseres findet. Rückzug wäre eigentlich angesagt. Nacht in den Gedanken – nicht mehr wissen, woher und wohin. Die Melodie aus der Dunkelheit, die dabei entsteht, ist leider kein schön einstudierter Chorgesang nach sattem Frühstück, sondern eine eher schüchterne, zarte Melodie, die mit brüchiger Stimme ihren Weg durch die Gitterstäbe des Kerkers ins Freie sucht. Gott breitet sich in der Welt leider nicht wie eine Welle des Wohlbefindens aus. Er wird nicht von der Woge des Beifalls getragen. Paulus und Silas sitzen im Knast. Man hätte mit ihnen gar nicht so verfahren dürfen, da sie römische Bürgerrechte besitzen. Grobe Verfahrensfehler – trotzdem passiert’s. Christus lässt’s zu. Mir ganz persönlich wär in dieser Situation die Lust zum Singen vergangen. Die Unlogik Gottes trifft knallhart auf. Der Mensch ist normalerweise zu schwach, um so was zu ertragen. Welchen Sinn haben solche Schmerzen? Hier lässt sich auch mit frommem Gesang nichts übertönen oder munter machen. Es tut einfach nur weh.

Die Melodie aus der Dunkelheit, die entsteht, ist kein oberflächliches Gute-Laune-Programm wie flottes Gedudel aus dem Radio. Der Moment in der Dunkelheit ist nicht Moment, wo es einen zum Beten treibt, sondern der Moment, in dem man ohne Gebet einfach nur untergeht. Es ist der Rückzug auf einen Ankerpunkt außerhalb meiner selbst, weil ich selber zu schwach wäre, so was zu ertragen. Nur wer um die Macht und die Möglichkeit des auferstandenen Christus weiß, findet in einer solchen Situation überhaupt noch so was ähnliches wie Melodie.

Es geht um tiefes Vertrauen, das aus der Melodie in der Nacht eine

2.          Hymne macht, die befreit

Da erschütterte plötzlich ein gewaltiges Erdbeben das gesamte Gefängnis bis auf die Grundmauern. Alle Türen sprangen auf, und die Ketten der Gefangenen zerbrachen.

Paulus und Silas beten und singen. Es ist aber nicht der Gesang und das Beten, sondern das Erdbeben, das den Weg in die Freiheit öffnet. Die Melodie aus der Dunkelheit befreit nicht von der Wirklichkeit und allen Schwierigkeiten in ihr, sonst ließe sich jede Art von Problem im Leben wegsingen und wegbeten. Es gibt aber Tausende Christen, die trotz Gesang und trotz Gebet eingekerkert bleiben in den Problemen, in denen jeder lebt. Es wär ja gerade dann fatal, wollte man eine fromme Mechanik herstellen von Gesang und Gebet zu Freiheit und Wohlergehen. Jede religiöse Strömung, die das versucht, scheitert am realen Leben. Jeder Christ wär dann verraten und verkauft, wenn trotz dem Lied die Kerkertüre zu bleibt. Es geht in diesem Gesang eben nicht um den Selbstzweck, nicht einmal um Selbsterhaltungstrieb, vielmehr um die tiefste Hoffnung des Glaubens, die in der Dunkelheit nur Gott selbst meint und zu ihm treibt, ohne zunächst zu fragen, was dann geschieht. Der Gesang des Glaubens unterscheidet sich eben darin von jeder Gefühlsstimulanz, dass er der Dunkelheit nicht entflieht, in der Dunkelheit aushält, Kraft findet, ja zu sagen zu dem, was so schwer zu ertragen ist. Das ist eben nicht Weltflucht, sondern Daseinsbewältigung. Der immerwährende Lobgesang geschieht. Er erhält seine Beglaubigung dadurch, dass er in der Nacht trotz der Nacht der Dunkelheit ins Gesicht gesungen wird.

Das ist Musik der ganz anderen Art. Der Hymnus, der geschieht, befreit nicht von den üblen Umständen, aber er befreit von aller Angst und Hoffnungslosigkeit und allem Selbstmitleid. Echte Anbetung aus der Tiefe meines Seins führt mich weg von mir auf Gott zu. Das befreit ungemein. Anbetung macht frei von dem Irrtum, die Welt müsse so sein, wie ich glaube, dass sie zu sein hätte. Anbetung stellt frei für Gottes Alternative. Diese göttliche Alternative ist für die Apostel ein Erdbeben – kommt übrigens häufiger vor in der Gegend. Dass es aber zu ihrer Anbetung synchronisiert ist, ist wie ein Wunder der Natur. Gottes Möglichkeit zu handeln, ist soviel größer als unser Vorstellungsvermögen. Die Kräfte der Natur in der Hand ihres Schöpfers – als aufgeklärter Mensch hat man sicher das Recht, solche Vollzüge zu bezweifeln. Der Zweifler kann sie deswegen nicht erfahren, weil er sie bezweifelt. Ein Erdbeben, das mittelalterlich gebaute Stahltüren aufreißt, scheint mir jedoch noch eine kleine Übung in einem Zeitalter, in dem Atomkraftwerke in Wasserwellen kollabieren. Naturwissenschaftlich außergewöhnlich, aber durchaus möglich ist das, was die Bibel hier schreibt. Das Erdbeben befreit. Die Kräfte der Natur dienen in diesem Augenblick zwei aus Glauben singenden Menschen. Das ist eine bewusstseinserweiternde Lebenserfahrung. Gott ist auf meiner Seite – trotz aller Dunkelheit neben mir, über mir und um mich herum. Gott an meiner Seite – das macht die Nacht zum Tag, darin wird hell, was vorher dunkel war. Das gibt meinem Gesang einen unglaublich tiefen Sinn.

Das ist

3.          Mehr, als ein Hit

Aus dem Schlaf gerissen, sah der Gefängnisaufseher, dass die Zelltüren offen standen. Voller Schrecken zog er sein Schwert und wollte sich töten, denn er dachte, die Gefangenen seien geflohen. „Töte dich nicht“, rief da Paulus laut, „wir sind alle hier.“ Der Gefängnisaufseher ließ sich ein Licht geben und stürzte in die Zelle, wo er sich zitternd vor Paulus und Silas niederwarf. Dann führte er die beiden hinaus und fragte sie: „Ihr Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ „Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du und alle, die in deinem Haus leben, gerettet“ erwiderten Paulus und Silas. Sie verkündigten ihm und alle in seinem Haus die rettende Botschaft Gottes. Der Gefängnisaufseher kümmerte sich noch in der selben Stunde um Paulus und Silas. Er reinigte ihre Wunden und ließ sich mit allen, die zu ihm gehörten, taufen.

Der Gesang des Glaubens verhallt nicht im luftleeren Raum. Er findet ein Echo im Leben des Gefängnisaufsehers. Er gibt seinem Leben eine neue Richtung. Auch wenn es nicht der Gesang, sondern Gott selbst ist, der das Wesen und Denken von Menschen verändert, so ist zumindest die Frage erlaubt, was wohl passiert wäre, wenn Paulus und Silas nach dem Erdbeben die Gunst der Stunde genutzt hätten und sich in die Büsche geschlagen hätten. Immerhin, so außergewöhnlich von Gott befreit, gibt es keinen vernünftigen Grund, noch länger zu verweilen. Der Gesang des Glaubens ist bei ihnen aber nicht nur gesungener, sondern auch gelebter Gesang. Das gibt ihm eine stabile Verankerung im Alltag. Nicht der persönliche, schnelle Vorteil, sondern ihre Lebensverantwortung in ihrer Berufung lassen sie bleiben und den Mann vor Selbstmord bewahren.

Vor einigen Jahren verloren fünf Trappistenmönche in Algerien ihr Leben, als sie versuchen, eine paulusähnliche Entscheidung zu treffen. Bonhoeffer starb kurz vor Ende des Krieges einen genauso ungerechten Tod. Viele Beispiele der Kirchengeschichte sind ohne Happy End. Es liegt nicht in der Hand des Glaubenden, zu bestimmen, wann, wo, wie und auf welche Art sein Glaube erfolgreich ist. Nicht der Gesang, sondern Gott wirkt. Der Gesang des Glaubens kann nur in der Weite des auferstandenen Christus gesungen werden und im tiefen Vertrauen, dass derselbe korrekt entscheidet. Christus allein ist der Dreh- und Angelpunkt. Bei Paulus und Silas sind die Konsequenzen sofort erkennbar. Der Gefängnisaufseher verändert sein Leben. Er lässt sich taufen. So legt Christus mitten in der Nacht die Grundlage des neuen Tages. Er kann es und er tut es. So kann das, was das Ende scheint, in Wirklichkeit der Anfang sein. Die Christusmöglichkeit gibt unserer Anbetung ihren Sinn und den Anstoß, nie aufzuhören mit diesem unendlichen Lied der Christenheit, das soviel mehr ist als einfach nur Gesang.

Kantate ist ein Lebensprogramm. Feiern wir also den Sonntag Kantate mit dem Gesang des Glaubens in die Dunkelheit dieser Welt hinein, um dann in Christus frei zu sein.

 

 

 

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