Jammer gehört umarmt

Es ist ein Jammer, wenn alteingesessene Klöster, die vor Jahren noch Kultur- und Bildungsstätten einer ganzen Gesellschaft waren, nach und nach ihre Pforten schließen und sich auflösen.

„Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“
Jes. 66, 2

Gott steht bei seinem Volk vor einem Scherbenhaufen. Es ist wie bei Deutschland nach 1945 oder 1989. Nur noch Trümmer; alles was einmal gut war, verwirtschaftet. Gott trauert über das Häufchen Elend. Er hatte solch große Ideale. Es liegt eine starke Geschichte zwischen ihm und Israel zurück, und jetzt nur noch Ach und Weh. All das, was einst sehr gut war, hat seinen Glanz verloren und ist ein Bild des Jammers. Es ist wie bei einem Unternehmen, das der Senior zur großen Blüte brachte und der Junior in den Konkurs führte. Tagtäglich sieht Gott mit an, wie wenig von seiner großen Freiheit bei den Menschen übrig geblieben ist, die er unter dem größten Opfer geschaffen hat. Er trauert über den Verfall. Oder Jesus weinte über die Stadt Jerusalem. Ihn jammerte, als er das geängstigte und zerstreute Volk sah. Gott trauert über den Menschen, der hinter dem zurückbleibt, was er hätte sein sollen. Ihm geht das derart an die Nieren, dass er sich nie damit abfinden wird. Im Jammer, in seiner Trauer, zeigt er sein ganzes Erbarmen. Er hält am Menschen fest, auch wenn der schon lange losgelassen hat. Gott gehört zu den Trümmerfrauen, die Schuttberge wieder abtragen und damit Neues aufbauen. Wo Gott auf Elend stößt, sucht die Liebe keine Schuldige, sondern umarmt das Gebrochene. Wo wir Menschen schnell fertig sind, wenn einer auf der Nase liegt und sagen: Das kommt davon; der ist ja an seinem Elend selber schuld, der soll nur seinen Dreck selber ausbaden, sagt Gott: ich sehe aber auf den Elenden. Wo Menschen am Boden liegen, rechnet die Liebe nicht auf. Auch wenn vieles so aussieht, als würde Gott genau mein Elend übersehen, als würde kein Kloster die Säkularisierung überstehen, als würde das Interesse an Kirche und Glauben noch mehr schwinden, liegt Gottes Auge auf dem Jammer.

Wo das Herz des Erbarmens sieht, bleibt kein zerbrochener Geist ungesehen. Es gibt keinen Jammer, der nicht Gott aufs Herz schlägt. Was Gott einmal geschaffen hat, legt er nicht aus der Hand. Wo ihn seine Liebe treibt, ist sie dort am stärksten, wo alles zu zerbrechen droht. Auch im größten Elend, brauchen wir nicht jammern, weil Jammer seine Sache ist.

Woher sollten wir sonst den Lebensmut für jeden Tag bekommen, wenn nicht von dem, der den unaussprechlichen Jammer fest umfangen hat?

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert