Was hinter der Tür steht

1. Advent -Br. Markus- Offenbarung 5, 1-5

 

Man weiß nie – aber man kann es ahnen, bei einem Adventskalender zumindest – was hinter der Türe oder dem „Türchen“ ist. Je nach Hersteller ist es aus Schokolade oder aus dem Reformhaus, und je nach dem, wo einer steht, ergibt sich daraus eine freudige oder nicht so freudige Überraschung. Bei mir war es der berühmte schwarze Kater, der hinter der Tür nicht stand, sondern saß und voll eine abgekriegt hat, als ich die Tür aufgemacht hab. Riesenschreck für mich und Riesenschreck für Michel, unsere Gewächshauskatze. So kann es eben auch gehen, wenn hinter der Tür keine freudige Überraschung, sondern ein harter Schicksalsschlag wartet. Man sieht nicht hindurch durch die Tür, weiß manchmal nicht, woher der Wind weht, wohin die Reise geht. Wir wissen so viel und doch so wenig von dem, was auf uns wartet oder vor uns liegt. Türen, hinter denen das Schicksal lauert, begleiten uns lebenslang.

„Offenbarung“ heißt das Buch der Bibel, das sich mit der letzten Wahrheit beschäftigt, mit dem, was hinter allen Wirklichkeiten steht.

1. Was kein Auge sieht

Geben wir’s ruhig zu, wir wüßten’s doch alle gern, was auf uns wartet – heute Nachmittag oder morgen früh. Es muss ja nicht unbedingt die große Apokalypse sein. So ist der Mensch, dass er sich Gedanken macht, was auf ihn wartet und ob er bestehen kann im Kampf um’s Dasein. Wir wüßten’s brennend gern, was hinter jener magischen Tür verborgen ist, hinter der das Schicksal lauert, um uns zu erschrecken oder zu erfreuen. Manch einer erträgt sie nicht, diese große Lebensungewißheit. Millionen Horoskope werden gedruckt, und es wird tief in die Sterne geguckt, nur um den Schatten einer Ahnung zu bekommen, was auf uns warten könnte. Aber egal wie man’s anstellt, es funktioniert eben nicht – weder so, noch anders. Ob mit oder ohne Fahrplan oder Wetterbericht, keiner von uns weiß, wohin die Reise geht, keiner und keine, weil es kein Auge sieht. Wir wissen nicht, wenn wir eine Treppe runtergehen, ob wir unten ausrutschen, weil der Hausmeister vergessen zu streuen hat, oder ob unten der Postbote auf uns wartet mit einem Telegramm von der reichen Erbtante aus Amerika. Keiner weiß von uns, wenn er losgeht, ob er auch ankommt, ob unterwegs ein ganz anderer Plan, ein anderes Schicksal auf ihn wartet.

Jeder, der seine Zukunft mal geplant hat, muss zugeben, dass er sich verplant hat, dass alles ganz anders kam, als der eigene Lebens- oder Masterplan. Je nach dem, wie ehrlich man zu sich selber ist oder sein kann, muss man zugeben, dass jedes Schicksal ein Buch mit sieben Siegeln ist, das keiner erbrechen kann. Uns fehlt das Passwort zur eigenen Zukunft. Wer mit Gewalt an die Sache herangeht, vergewaltigt sich selbst mit dem eigenen Lebensplan, mit der Idee, wie es sein müsste, ich mich wünsche, hätte oder täte. Auf dem Weg zu mir selbst begegne ich einer ganz anderen Kraft, die wie eine schwarze oder weiße Katze hinter einer Tür lauert, die der Außenwelt. Schicksal trügt – meine Zukunft ist etwas, das ich nicht sehen oder steuern kann. Sie steht in den Sternen oder in jenem Buch, das ich nicht lesen kann, weil mir dazu die Zugangsdaten fehlen. Keine Zugriffsberechtigung für den Menschen auf Gottes Masterplan. Ich werde nie wissen, wie er aussieht, ich weiß nur eins: dass er stattfindet. Gott gehorcht keinem Rechenmodell. Es gibt keinen Schicksals-Allogarytmus, aufgrund dessen man begreifen kann, warum und wozu. Unsere Denk- und Sichtweisen, unser Fassungsvermögen und unser Verstand sind zu begrenzt.

2. Was kein Ohr hören kann

Hinter der Tür steht das Schicksal und wirkt auf uns ein. Man kann es verschweigen, aber nicht begreifen. Man spürt schon die Wirkung, die schön oder hart sein kann, nicht aber den Plan, dem es folgt. Es sei alles Zufall sagen sie – vielleicht aber auch nicht. Immer dann, wenn ein Leben gelebt ist, bricht sie spätestens auf, die Frage, ob da noch etwas ist oder nicht. Ein Buch mit sieben Siegeln – oder eben nicht. Je nach dem breche ich dann in eine große Zukunft oder die eigene Fantasielosigkeit auf. Was hinter jener letzten Tür des Todes steht, sieht man nicht, hört man nicht. Es ist so viel oder so wenig, wie einer glauben kann – oder viel mehr. Wir wissen nicht, was hinter dieser Türe steht. Es ist aber nicht Gottes Idee, den Menschen als einen unwissenden Trottel durch’s Leben zu jagen, auch dann nicht, wenn Unwissenheit Teil unseres Lebens ist.

Wissen ist Macht – aber nicht Allmacht. Wissen ist gut, aber nicht alles. Gott will, dass wir was wissen. Deshalb offenbart er sich. ER will aber noch viel mehr. Er will über alles Wissen und Verstehen eine Königsdisziplin: Vertrauen. Gott will, dass wir unser Wissen und Verstehen verwenden, um Vertrauen zu wagen. Gott will, dass wir als Wissende Vertrauen in ein Buch mit sieben Siegeln wagen. Gott enträtselt das Schicksal nicht, er schließt es durch einen Bevollmächtigten auf – was nicht heißt, dass sich dabei alles von selbst erklärt. Gott will den Menschen nicht als unwissend, er will ihn reif für das Geheimnis. Mit dem Geheimnis leben ist Gottes Plan – nicht weil es was zu verstecken gäbe, sondern weil da viel mehr ist, als man begreifen kann.

Der langweiligste Moment bei einem Adventskalender ist Weihnachten – dann, wenn alle Türchen schon geöffnet sind, alle Schokolade raus ist. Ein leerer Adventskalender turnt nicht mehr an, ein leeres Leben auch nicht. Gott sieht das Leben als Spannungsfeld, in dem unser Wissen durch sein Wort zum Vertrauen wachsen kann, Vertrauen in Wissen um die eigene Unwissenheit, Vertrauen wider besseres Wissen und Vertrauen durch unser Wissen – immer im Spannungsfeld, dass es noch etwas gibt, was ich nicht weiß und nie wissen werde. Fähig zu Gottes Geheimnis zu werden ist der Plan, fähig, zu lieben, so, wie der komplizierte Andere, der wie ein Buch mit sieben Siegeln ist. Gott will, dass Leben lebendig bleibt, elektrisch, nicht ohne zu wissen oder alles zu wissen, sondern im Ringen um Erkenntnis, um’s richtige Gewicht zwischen Wissen und Vertrauen. Gott will eine zweigleisige Beziehung, gut ausbalanciert, zwischen Wissen und Vertrauen. Er will kein Vertrauen ohne Wissen und kein Wissen ohne Vertrauen, er will den Doppelpack. Er will den um’s Vertrauen kämpfenden Menschen. Er lässt den Zweifel zu. Nur im Zweifel kann das Vertrauen echt werden.

Eben weil Gott keine Rindviechcher will, die applaudieren oder hinterher trotten, lässt er Zweifel geschehen. Gott will Menschen, die in ihren Zweifeln das Vertrauen wagen. Es geht darum, neu sehen zu lernen. Es geht darum, Wege zu sehen, wo keine sind, Straßen zu bauen, wo der Untergrund zu fehlen scheint, Licht anzuzünden, ohne eine Kerze zu haben. Das Vertrauen auf Gott kann nicht ohne Wissen um’s eigene Misstrauen wachsen. Es braucht eben das Wissen um den eigenen Abgrund, um zum echten Vertrauen zu werden, eben, weil Glaube gewagtes Vertrauen am eigenen Abgrund ist.

Was kein Auge sieht und kein Ohr hört ist

3. Atemberaubende Aussicht

Es gibt einen, der das Passwort kennt. „Einer hat gesiegt; er kann das Buch öffnen und seine sieben Siegel brechen.“

Christus öffnet die Tür. Christus öffnet Horizonte. Christus schafft Verbindung. In Christus durchdringt sich unsere Wirklichkeit mit der Wirklichkeit, die wir erwarten. In  Christus wird das Licht einer einzigen Kerze zum alles überstrahlenden Schein. Inmitten der Irrlichter der Welt erscheint ein nie verlöschendes Licht, das verbindende Element zwischen heute, hier und jetzt und dem immer leuchtenden Sein. Unser Glaube ist eben nicht begrenzt durch Türen, Vorhänge oder Scheuklappen, sondern findet den Blick hinaus in Gottes unendlichen Raum. Hinter der Tür ist kein Abstellraum. Hinter der Tür ist nicht das Hinterzimmer. Hinter der Tür ist nicht die Folterkammer. Hinter der Tür ist ein gigantischer Festsaal, der so hell ist, dass er all unsere Dunkelheiten überstrahlt.

Nicht unser Licht strahlt in die Zukunft, die Zukunft strahlt in uns hinein. In Christus wird es in jeder Kirche hell, in jedem Dasein, auch wenn es die dunkelste Grotte wäre. In Christus feiert die ewige Welt mit uns. Sie kommt zu uns, in unsere Schatten und Dunkelheiten, und füllt uns aus. Am 1. Advent leuchtet der Widerschein einer ganz großen Party durch die Tür, hinein in eine Welt, die nicht glauben kann, dass es eine so große Party überhaupt gibt. Christus schließt unseren Gottesdienst und alle irdischen Gottesdienste auf zu einem atemberaubenden Gottesdienst der unendlichen Art, zur Anbetung ohne Ende. Hinter der Tür steht nicht die schwarze Katze, sondern eine atemberaubende Aussicht – und es gibt jemand, der die Tür aufschließt. Da ist mehr Licht, als man glauben kann. Da ist viel mehr Licht, als irgendein Raum überhaupt schlucken kann. Hinter allen Wirklichkeiten steht unendliches Licht.

„Macht hoch die Tür“ heißt dann einfach nur: Licht reinlassen – weil hinter der Tür einfach nur Licht ist. .

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