Mitgerissen

Predigt -Br. Markus- Römer 9, 16

„Entscheidend ist also nicht, wie sehr sich jemand anstrengt und müht, sondern dass Gott sich über ihn erbarmt.“

Mitgerissen

Sicher – auf der Schwäbischen Alb weht auch das eine oder andere laue Lüftchen. Selbst im Schwarzwald ist der Wind manchmal stark. Will man mal was richtiges sehen, muss man nach Frankreich gehen. Da ist der Wind ungestüm, richtig stark, brutal, stärker als normal, stärker, als die Polizei erlaubt, heftiger, als man glauben kann. Sie nennen ihn den „Mistral“. Er ist so stark, dass ein erwachsener Mann sich kaum aufrecht stehend gegen ihn halten kann. Die Route des Cretes unterhalb von Marseilles wird immer dann gesperrt, wenn er da ist, dieser unglaublich starke Wind, der schon Wohnmobile mitsamt Insassen in den Abgrund geblasen hat. Der Mistral ist ein wilder Wind. Er weht, wo er will. Man kann ihn nicht steuern, er bestimmt selbst seine Bahn. Nicht wir kontrollieren ihn, er weht uns an.

„Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen“ übersetzt Luther den heutigen Predigttext. Gottes Barmherzigkeit ist wie ein Orkan. Es geht um die Kraft, die uns antreibt und weiterbringt, Energie gibt im Zeitalter der Windkraft.

Wir sind
.

1. Angeweht

Nicht ich.

Es ist eine der wichtigsten Aussagen des Glaubens: Nicht ich wehe, sondern der Wind. Die Frage, woher mein Glaube kommt, ist entscheidend. Ich selber kann gar nicht glauben – so wenig, wie ich den Wind steuern kann. Eben weil christlicher Glaube kein Gedanke oder eine Idee ist, sondern mehr. Glaube kommt nicht aus mir, sondern aus Gott. Der Glaube kommt von Gott auf mich zu. Meine Fantasie ist zu klein, um Gott zu denken. Gott ist Orkan, der mitreißt – nicht Ventilator, den ich betreiben muss. Nicht ich muss Gott betreiben – Gott betreibt mich. Das ist der wichtige Unterschied, das Dauermissverständnis in Sachen Religion. Gott weht mich an. Es gibt keine meteorologischen Berechnungsmöglichkeiten für dieses Phänomen. Keiner weiß wirklich, woher Gott kommt. Gott ist eben nicht das gute Gefühl oder der nette Gedanke, den ich mir mache oder in mir finde. Gott kommt von außen auf mich zu. Ich kann nicht begreifen, woher er kommt, nur spüren, dass er mich anweht. Es ist nicht die Bestimmung Gottes, dass er das Ausführungsorgan meiner Träume und Wünsche ist. Er weht mich an, offenbart sich von außen, nicht aus mir heraus. Ich kann ihn in mir nicht finden, sonst wäre er tatsächlich nur meine Projektion. Gott ist der frische Wind, der mich anweht in der stehenden Luft meiner eigenen Fantasie. Gott weht mich zuerst mit einer Ahnung an, dass es viel mehr gibt als mich und meine Idee. Das kann auch eine ganz schön steife Brise sein, die mich da trifft. Alles in Sachen Glauben kommt aber von ihm, von außerhalb – nicht aus mir selbst. Er ist der Wind – ich nicht.

Gott will eben nicht, dass jeder Mensch in sich eine Theorie entwickelt, wie alles sein könnte. Gott offenbart sich, wie es wirklich ist. Er ist eigenständiges Wesen, folgt seinem Weg, den nur ER kennen kann. Zu vermessen wäre meine Idee – das zeigt die Geschichte von Hiob – als dass ich Gott begreifen kann. So ist der Glaube an sich Gottes erstes Geschenk an mich. Er schenkt mir den Glauben, ohne ihn könnte ich nicht. Allein weil Gott will und nur deshalb, kann auch ich überhaupt glauben. Wollte Gott es nicht, würde ich in der Fülle religiöser Ideen versanden. Gott will mich. Er will, dass ich glauben kann. Sein heiliger Geist reißt uns mit. Wir sind
.

2. Mitgerissen

zum Glauben.

Glaube ist immer Mitgerissen sein von Gott. Gott will mich – aber nicht nur mich allein, er will alle. Es gibt keinen stärkeren, unbezwingbareren als den Gotteswillen zu allen. Einer will alles und jeden – also nicht 70, 80 oder 90 Prozent, sondern 100. Gottes Wille ist total unbescheiden und verrückt. Er will es so. Gott ist nicht Gott, um für uns gut zu sein, sondern weil er das will. Er könnte sich den Nettesten aussuchen, er könnte die Fleißigste, Emsigste oder Treueste wählen – aber er will alle. Schon darin, dass wir alle überhaupt leben, verwirklicht sich sein Wille. Gott will, dass wir überleben – uneingeschränkt. Gott will uns alle haben – die rechtschaffene Christenheit mitsamt all der schrägen Vögel in ihr und um sie herum. Seine Liebe ist nicht an unser braves Vorverhalten gebunden. Gott will uns, auch wenn wir ihn nicht wollen. Das Geheimnis Gottes ist so verrückt, dass man sich so was nicht ausdenken kann. Gottes Wille reicht über die Sympathiegrenze hinaus. Gottes Wille geht über die Anstandsgrenze hinaus. Gottes Wille geht über die Ablehnung hinweg. Gott will Gemeinschaft – in diesem wie im nächsten Leben. Zusammenleben heißt der Masterplan, und das ist gerade für die eine Herausforderung, die Probleme mit dem anderen haben. Keiner von uns wäre aus sich heraus liebenswert, gerecht oder schön, so dass Gott ihn unbedingt bräuchte – zu sündeverzeichnet ist jeder von uns, als dass er vor Gott etwas darstellen könnte. Trotzdem will Gott alle haben, die sündeverzeichneten, desillusionierten, an sich selbst oder anderen gescheiterten Menschen. Nicht wir wollen was, Gott will. Gottes tiefste Absicht weht mit Orkanstärke durch die Geschichte der Zeit. Er wollte schon immer, er will immer noch, er will überhaupt. Sein eiserner Wille hält an mir fest – auch wenn ich mich schon lange aufgegeben hab. Nicht, weil wir vorzeigbar wären, weil er uns geschaffen hat, liebt Gott. Nicht den mit dem flottesten Outfit oder modischsten Haarschnitt, sondern alle. Es gibt für Gott keine besonders begehrenswerte Kategorie. Für Gott sind alle wichtig, weil sie Menschen sind, weil es auch keine A-Klasse, B-Klasse oder C-Klasse-Sünder gibt. Gott tritt mit ernster Absicht an alle Menschen heran. Er bietet Barmherzigkeit an. Er zwingt sie nicht auf. Barmherzigkeit heißt sein unschlagbares Angebot, das mitreißt, Barmherzigkeit allein. Wer glaubt, muss durch den Glauben neu denken lernen, anders auffassen, als er das von sich aus tut. Die Logik der Barmherzigkeit ist unfassbar größer, als unser normales Prinzip. Gott reißt uns in Christus mit zum Schenken, nicht zum Verdienen. Beschenkt werden heißt Gottes Prinzip – oder auch: Ich bin von Gott geliebt.

Entscheidend ist nicht, wie sehr sich jemand anstrengt und müht, sondern dass Gott sich über ihn erbarmt.“

Christus reißt mit. Wir sind in ihm

3. Beflügelt

Das Langweilige am Sport ist, dass es immer nur einen Sieger gibt – Ausnahme Fußball, da ist es dann wenigstens eine Mannschaft, die gewinnt, aber eben auch nur eine. Bei Gott gibt es eine wesentlich größere Auswahl an Gewinnern. Da steht eben nicht eineinsamer Radfahrer auf dem Siegerpodest, umgeben vom zweiten oder dritten Platz. Bei Gott gewinnen alle, die mitfahren. Das ist doch wesentlich spannender, wenn jeder Sportler gleichzeitig ein Sieger gibt, es also null Verlierer gibt. Das ist schon eine andere Welt, die Welt der Barmherzigkeit. Gnade ist kein Trostpreis, tröstet aber ungemein. Gott verschenkt seine Gerechtigkeit an alle, die sich danach sehnen, Durst haben. Das ist der Orkan, der in Christus geschieht. Es heißt dabei nicht, dass man sich keine Mühe mehr machen soll. Mühe allein reicht aber nicht.

In Christus wird der Glaube vom Leistungsprinzip befreit, beflügelt zur Hoffnung, in der er geschieht. Christus beflügelt den Glauben ungemein, so, dass er unglaubliches leisten kann. Wir sind in Christus erfasst – erfasst von der ganzen Wucht der Gerechtigkeit Gottes, in der es keinen Zweifel gibt, ob man das schafft, weil es geschafft ist. „Es ist vollbracht“ heißt, es muss nicht mehr vollbracht werden. Meine Gerechtigkeit ist in Christus vollbracht. Meine Wahrheit ist in Christus vollbracht. Meine Aufmerksamkeit ist in Christus vollbracht. Meine Leere ist erfüllt. Ich bin vollbracht – mitgerissen in die Gerechtigkeit Gottes durch ein Lächeln allein – dessen, der auferstanden ist.

Christus beflügelt die Welt mit dieser Barmherzigkeit, die so stark ist, dass man sich kaum dagegenstemmen kann. Wozu also an meiner Gerechtigkeit festhalten, wenn es eine frischerer, stärkere, tragende gibt, eine, die mitreißt? Amen

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