Liebeskommunismus

Predigt – Br. Markus – Apostelgeschichte 2, 41 a, 42-47

 

Ich möchte Ihnen heute morgen eine neue Alternative für Deutschland präsentieren. Ist ja gerade schick geworden, neue Fraktionen zu eröffnen. Da muss man schon sehen, dass man den Anschluss behält.

Meine Alternative heißt: Liebeskommunismus.

Keine Angst, ist nicht politisch und gar nicht so link, wie es klingt, auch nicht auf Baden Württemberg begrenzt, sondern wie jeder gute Kommunismus für den weltweiten Export geeignet. Es hat mich schon einige Überwindung gekostet, dieses Thema zu wählen, weil ich beim Stichwort „Kommunismus“ immer selbst die Krise krieg. In Kuba sagen die Kritiker, erröten ja selbst die Bananen über die Zustände, die dadurch sind. Die DDR musste mit Mauern zusammengehalten werden. Warum also für etwas Reklame machen, was nicht funktioniert, zum Scheitern verurteilt und total überholt ist?

Liebeskommunismus ist die Lebensform der ersten Christen.

 

1. Die andere Art zu denken

Alle denken nur an sich, nur ich, ich denk an mich.“ Sie kennen den alten Spruch? Es ist unsere, die ganz normale Art, zu denken, die lebensnotwendige Art. Wer nicht an sich selber denkt, zerbricht im harten Kampf ums Dasein. Der Stärkere überlebt – oder der „am besten Angepasste“ wie es Darwin formuliert. Sie scheint nicht wirklichkeitstauglich, die christusgeprägte Art zu denken.

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ sagt Bert Brecht.

Christlicher Liebeskommunismus geht eher andersrum. Gott sieht den Menschen anders. ER liebt ihn anders, als er selbst sich lieben kann. Gott liebt uns in einer ganz anderen Größenordnung. Er liebt uns nicht Mono, als eine einzelne, auf sich selbst allein gestellt Existenz. Gott liebt mindestens quadro, eher Surround, allumfassend, den Einzelnen im großen Ganzen, das geschieht, nicht losgelöst und isoliert, sondern eingebettet ins Welt- und Zeitgeschehen. Gottes Herz ist größer, als dass es nur für einen oder eine reichen würde. Es reicht für eine ganze Welt. Das ist was ganz anderes, als so ein jämmerlicher Kampf nur um mich selbst, so ganz allein, jeder für sich und auf sich selber hin. Gott begreift die Welt anders. Er sieht sie aufeinander bezogen, ineinander verflochten, miteinander verwoben, nicht gegeneinander ausgespielt. Natürlich wäre jeder ein Fantast, der abstreitet, dass es den Kampf um’s Dasein gibt, aber gerade darin, wie er geführt wird, liegt ein Unterschied.

Gott denkt in Christus größer. Er macht das Blickfeld weiter, umfangreicher, tiefer und nuancenreicher. Nicht ich alleine gegen alle, sondern Christus in mir unter allen, für alle, miteinander – muss es heißen. Das ist das Musketier-Prinzip, das Prinzip der Urkirche. Einer für alle, alle für einen. Gott liebt mich – aber eben nicht nur mich allein, sondern zugleich den anderen, der so anders aussieht, so ganz andere Ansichten hat, andere Klamotten anzieht, andere Musik hört und zu einer anderen Uhrzeit ins Bette geht und/oder aufsteht. Ich bin nicht exclusiv geliebt, sondern unter anderen Menschen, mit denen ich Gottes Liebe teilen muss. So bescheiden oder auch demütig muss ich sein, will ich an Gott heranreichen. Ich bin Staubkorn in der Wüste, Tropfen am Eimer der Sympathie Gottes – trotzdem geliebt, geliebt wie all die schrägen Vögel oder schlimmen Finger um mich herum. Gott ist größer als Marx, er ist aber Kommunist, ein großer Kommunist, der größte, weil seine Liebe für alle gleich ist. Es gibt keine größere Gleichheit für Brüder unter Schwestern oder umgedreht. In Gottes Liebe erübrigt und verbietet sich der Kampf um mich auf Kosten anderer. Das ist etwas Größeres, als Darwinismus. Es ist ein erweiterndes Lebensprinzip, im wahrsten Sinne des Wortes alternativ, weil es dazu keine Alternative gibt. Liebe Gottes ist ohne Alternative in dieser Welt. Liebe allein macht mich fähig,
.

2. An andere zu denken

Es gibt weltweit nur diesen einzigen Kommunismus, der überleben kann – schon deshalb, weil echter Kommunismus ohne Liebe gar nicht geht. Wir können gar nicht an den anderen denken, ohne dabei Angst um uns selbst zu haben. Mensch sein und Angst haben scheint unlösbar verbunden. Allein in Christus kann es gelingen, trotz unserer Angst zu lieben, wie Gott liebt. Dieses unerhört alternative Denken hat dramatische Auswirkungen. Man muss dabei gar nicht an die großen Flüchtlingsströme unserer Tage denken. Ich erlebe jeden Tag auf dem Wochenmarkt Menschen, die Angst haben, zuviel Geld auszugeben für den Blumenstrauß, den sie dem Menschen schenken wollen, den sie lieben. Da geht es nicht um solide schwäbische Sparsamkeit, sondern um die Angst, selber zu verlieren beim Verschenken. Steckt in jedem von uns, tut weh, ist aber Überlebenstrieb. Ich kaufe zweimal Fair-Trade-Kaffee, bis ich merke, dass er teuer ist und schleiche mich dann heimlich beim dritten Mal doch zu Aldi, weil dann mehr Geld für das dickere Auto, die schönere Wohnung oder sonst was bleibt. Wirklich schenken kann nur, wer seine Angst besiegt, dass nix mehr bleibt.

Zum Liebeskommunismus reicht es bloß, wenn einer liebt, der lieben kann, angstlos. Es ist nicht Gottes Verzicht auf Besitz und Kapital, was angestrebt wird, sondern der Verzicht auf Angst. Christus-Bruderschaft ist, wie Christus-Schwesternschaft, in ihrem Angstverzicht begründet. Im Verzicht auf Angst, auf meine konkrete Angst um mich selbst, entsteht Urkirche, heute, 2016 Jahre nach Christus – nicht, indem ich versuche, irgendwelche Lebensstile nachleben oder zurückzuholen, sondern indem Gottes Liebe in mir wirksam wird. Christus in mir macht mich zum Sympathiekommunisten, zum Teil eines weltweiten, Zeit übergreifenden Komitees von total verrückten, angetörnten und geflashten Typen. So funktioniert’s – fordert heraus, macht Spaß, strengt aber auch an, ist deshalb kein weltfremdes Religionsprogramm, weil es in die Wirklichkeit eingreift, Wirklichkeit formt, Welt verändert.

An andere zu denken fällt nicht leicht, gelingt nicht in noch so frommer Begeisterung, weil der oder die andere immer andersartiger ist, als ich mir denken kann. Wer weiß denn schon, was der andere wirklich braucht – und wer will es wirklich wissen? Gerade dann, wenn der andere etwas wirklich braucht, was bei mir überhaupt nicht auf dem Radar ist. „Mein Freund schenkt mir immer die Blumen, die ich gar nicht mag“ klagt Jenny, 25 Jahre alt. Es geht ihr nicht um Blumen, viel mehr darum, dass der Mensch, den sie liebt, blind dafür scheint für das, was ihr gefällt. Die Aufmerksamkeit, die Gott schenkt, macht offen für den anderen. Gott macht uns nicht neugierig, aber aufmerksam für alles, vor allem für andere. Es geht zentral um ein waches Auge und ein offenes Ohr für die Welt, in der wir leben – natürlich nicht im Sinn von Überwachung oder Lauschangriff. Wer nicht weiß, wo der andere steht, was in ihm wirklich lebt, kann nicht für ihn aktiv sein. Wir alle sind wichtiger als ich allein.

In Christus öffnet Gott der Menschheit nicht nur die Sinne, sondern das Herz füreinander.
.

3. Das verändert alles

„Die Gläubigen lebten wie in einer großen Familie. Was sie besaßen, gehörte ihnen gemeinsam. Wer ein Grundstück oder anderen Besitz hatte, verkaufte ihn und half mit dem Geld denen, die in Not waren.“

Gottes Wort zeigt Wirkung. Es entsteht Kirche – ein anderes Wort für Gemeinschaft derer, die es hören. Gemeinschaft mit Gott beschränkt sich aber nicht auf Hören allein. Gott will nicht nur einen Verein der Hörenden und Wissenden. Es geht um Verwirklichung, Lebensgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Gottes Gemeinschaftsgedanke führt in dieses wie ins nächste Leben hinein. Gott zwingt keinen hinein. So kann es keine christliche Entmaterialisierung im Sinne von Enteignung geben. Zu groß wäre der Frust und die Enttäuschung, die dabei entsteht. Bei der Gründung unserer Bruderschaft war der Verzicht auf Privateigentum ein klarer Leitgedanke, um in diesem Sinne für die Kirche arbeiten zu können. Nach vierzig Jahren muss man zugeben, dass nicht jeder damit glücklich geworden ist. Es braucht unglaublich viel Vertrauen, um das auszuleben, was offensichtlich in der Urgemeinde schon verwirklicht ist. Es geht dabei nicht nur um Gemeinschaft der Güter oder des Bankkontos, man würde sonst die Kirche auf Sozialarbeit reduzieren. Es geht um alle Lebensbereiche, die lustigen wie die traurigen, die stressigen wie die entspannten.

Koinonia – wie Gemeinschaft griechisch heißt – ist eine hochexplosive, elektrisierende, nervenaufreibende Risikogemeinschaft, so stark, wie das Leben selbst, manchmal stärker als der Einzelne. Das Ideal Gottes kann nur gemeinsam gelebt werden, weil der Einzelne zu schwach dazu wäre. Koinonia kann nur gelebt werden, wo man die eigene Schwäche dem anderen anvertraut. Koinonia kann nur da sein, wo die ganze Gemeinde ihre Schwäche Christus anvertraut. Gemeinsames Leben gelingt nur in seiner tragenden Kraft, weil Christus allein der stärkste Teil jeder Bruderschaft ist. Liebeskommunismus gelingt nur dort, wo er sich tragen lässt. Ohne Gottes Energie entgleist er mindestens so schlimm wie der von Karl Marx. Weltverändernde Kraft hat er dort, wo der Einzelne Mut findet, seine privaten Reservate einzubringen ins größere Ganze – auch wenn das keine materiellen Werte sind. Schablonisieren lässt sich sowieso nichts.

Gottes Alternative heißt: Vertrauen wagen um zu leben, Gemeinschaft wagen, um zu leben. Dabei entdeckt man dann, dass es weitaus mehr gibt, als ich alleine haben kann. In diesem Sinne liefert die Urgemeinde heute noch mit ihrer Praxis einen knackigen Denkanstoß.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert