Sprich mit mir

– Predigt: Br. Markus-1. Tim. 2, 1-6a

Ich muss zugeben, dass das schon ein bisschen nach genervter Ehefrau klingt. Ich hoffe, ihr verzeiht mir das. Aber irgendwie ist es auch so. Da ist jemand, den das Schweigen stört, die Wortlosigkeit. Klar, selbst mir fehlen manchmal zum Schweigen die passenden Worte. Der Buddhismus sagt uns sogar, dass man nur dann etwas sagen soll, wenn man etwas weiß, was wichtiger als die Stille ist. Ich hab mir sowieso vorgenommen, in meinem nächsten Leben als Goldfisch auf die Welt zu kommen. Da fällt das Schweigen leichter, und man hat auch immer genug zu trinken um sich herum. Gott will aber, dass wir reden – nicht irgendwie und irgendwann, auch kein frommes Papperlapapp, sondern Beten, reden mit ihm. Es geht um die wichtigste Kommunikationsform, die dem Mensch gegeben ist, Rede mit Gott, unser Wort in Gottes Ohr  – ein ewiger, unsterblicher Kommunikationsauftrag.

1. Wir können das

Es ist eine Idee Gottes – das mit dem Beten – schon allein deshalb, weil es nicht nur um Worte dabei geht. Obwohl wir in Worten denken, genügen manchmal Worte nicht, um alles zu verstehen. Manchmal findet man eben nicht die richtigen Worte, um das auszudrücken, was man sagen will. Es geht aber nicht nur um die Frage von Sprache, obwohl Sprache hilft, den Weg zu anderen zu gehen. So ist zumindest eine Form von Gebet Gebet im Wort, ausgesprochen oder nicht – Hauptsache, es ereignet sich zwischen uns – Mensch und Gott.

Es geht darum, mit Gott am Rad der Geschichte zu drehen, beten zu drehen an dem, was geschieht. Das, was unser Schicksal ist oder nicht, steht nicht nur in den Sternen, sondern es ereignet sich zwischen uns, durch uns mit und ohne Gott. Es ist nicht der Masterplan, daß Gott eine Idee hat, die der Mensch zu erleiden hat. Gottes Idee hat einen wesentlich weiteren Umfang. Mitgestalter und Mitschöpfer-Sein heißt, konkret teilzunehmen an der Gestaltung des Schicksals. Wir können beten, weil wir leben und verstehen, was Gott ist. Es braucht Verstand – schon deshalb, weil Gebete mehr sind als nur fromme Wünsche oder Worte, die man von sich gibt und die verwehen. Gebet ist Teilnahme an Gott. Wir können das, weil Gott uns die Möglichkeit dazu gibt. Unser Schicksal findet nicht einfach statt, es soll von uns mitgestaltet sein. Wenn Gott nicht wäre, könnten wir unser Schicksal ja alleine formen, unsere Träume selber verwirklichen. Wäre keine Mitgestaltungsmöglichkeit, wäre der Mensch nur ein Spielball, ausgeliefert an eine weit größere, scheinbar willenlos wütende Schicksalskraft. Gottes Idee verwirklicht sich in einer betenden Menschheit, in Rede und Gegenrede, Frage wie Antwort. Mein Wort, unser Wort kennt eine konkrete Adresse. Wir beten nicht in den Wind, wir beten nicht in ein Niemandsland, wir beten nicht in eine unklare Vorstellungswelt. Unser Wort kennt eine klare Hausnummer, die Nummer 1 „ein Gott, ein Mittler, ein Christus“ heißt es im Text. Die Adresse macht unser Wort zum Gebet, auf Antwort wartend.

„Sprich mit mir“ sagt Gott. Das bedeutet, dass auch er etwas zu sagen hat, sich das Recht, zu schweigen vorbehält. Weil es mich gibt, kann Gott etwas tun in dieser Welt. Ohne mich bliebe es ungetan. Durch mich kann sein Wort lebendig werden. Nur durch Gott kann mein Wort sich verwirklichen. Gottes Idee sucht meinen Verstand und meine Fantasie, um zu leben. Gott will meinen Impuls, meine Initiative, um aufmerksam gemacht zu werden, was sich ändern soll und muss.

2. Wir dürfen das

„Schießen Sie los. Jetzt sind Sie dran. Was würden Sie tun, wenn Sie morgen nur einen Tag lang die Macht des Schicksals hätten?“ „Freibier für alle“ wär schon ein schöner Vorschlag. Noch schöner wäre so ein kleiner Waffenstillstand, nicht nur zwischen Mann und Frau – in Syrien oder im Irak, oder schon, wenn ein paar Flüchtlinge weniger ertrinken oder ankommen, wäre manch einem von uns geholfen. Die Not der Welt hat viele Gesichter und kennt viele Interpretationen. Die Not der Welt hat uns auch stumm gemacht. Die eigene Hilflosigkeit und die Ohnmacht scheinen uns die Stimme geraubt zu haben. Zu resigniert, zu enttäuscht ist man in der Tiefe doch, als dass man noch glauben kann, dass sich was ändert – oder nicht?

„Sprich mit mir“ sagt Gott. Wir dürfen das. Aber nutzt das wirklich was, wenn man zehn, zwanzig oder dreißig Jahre betet um irgendwas und sich nichts tut? Ich bete um Gesundheit und werde krank. Ich bete um Frieden, und es gibt Krieg. Ich bete um Sonne, und Regen setzt ein. Wenn es nicht zu funktionieren scheint mit unserem Mitschöpfertum, wenn es anders, so ganz anders läuft, als ich geplant hab, fängt es an, das echte, tiefe Gespräch mit Gott. Solange alles nach meinem Plan läuft, ist es sowieso kaum das, was Gott meint.

Echtes Gespräch braucht gegenseitigen Respekt. Gott hört mir zu. In Christus liegt sein Ohr eng an uns an. Es tut sicher gut, sich den Frust nicht nur von der Seele zu reden, sondern manchmal zu schreien. Echte Gemeinschaft heißt aber auch, Gottes Aufschrei wenigstens versuchsweise zu hören und zu verstehen. Die heile Welt beginnt nicht mit meiner Sehnsucht nach ihr. Zu einfach wäre dann die Welt gestrickt. Gott ist nicht Aladin mit der Wunderlampe. In Christus scheint auch die Andersartigkeit Gottes auf, in der ich erkennen muss, dass meine Idee zum falschen Zeitpunkt unter falschen Voraussetzungen oder überhaupt nicht passend ist. Im Gespräch mit Gott ist eben nicht nur jene wellnessartige Harmonie zuhause, von der man sehr schön Träumen soll und kann, die aber mit dem wirklichen Leben wenig zu tun hat.

Die ganze Bibel ist voll von Berichten, dass das Gespräch mit Gott auch harter Kampf sein kann, Ringen um die richtige Überzeugung. „Sprich mit mir“  heißt also auch, „streite mit mir“. Es wäre einfach zu naiv, wenn Gott immer meiner Meinung wäre. Genau dann wäre er eine krankheitsähnliche Fantasie. Weil ich mit ihm streiten darf, ist er. „O Jesulein süß“ ist eben manchmal eben nicht so süß. Es gibt namhafte Theologen, die empfehlen sich, vom Ballast schön formulierter Gesangbuchverse zu befreien und Gott ihren Frust ruhig mal ins Gesicht zu schreien. Wenn ich nicht verstehe, warum Tausende Menschen auf der Flucht ertrinken, kann ich das ruhig mal vor Gott ausbreiten, auch wenn das mit weniger gesetzten Worten geschieht. Warum auch nicht das Gebet mit dem beginnen, was ich nicht nur schlecht, sondern zum Kotzen finde. Gott hört zu. Man darf auch dankbar sein. Gott hört zu, auch dann, wenn ich den letzten Mist raushaue. Es geht ihm ums Gespräch, nicht um die schönen Worte. Schöne Worte braucht die Kirche für ihre Liturgie. Ganz klar, muss so sein, ist aber nicht immer Dialog. Wir dürfen alles sagen. Gott hört, auch dann noch, wenn er nicht zu erhören scheint. Manchmal entdeckt man selber, was man für verdrehte Wünsche vor zwei Jahren oder gestern noch hatte.

Nicht immer kommt das, was ich will, auch der gesamten Menschheit zugute. „Des einen Eule ist des anderen Nachtigall“ sagt das Sprichwort. Da ist es doch eher von Vorteil, wenn Gott seinen eigenen Filter setzt bei dem, was er tut und was nicht. Auf’s Ganze gesehen ist Gott  weniger gemütsschwankungsanfällig als die Menschheit. Diesen Vorteil muss man nutzen – besser noch: genießen.

3. Wir sollen das

„Am wichtigsten ist, dass die Gemeinde nicht aufhört zu beten. Betet für alle Menschen; bringt eure Bitten, Wünsche, eure Anliegen und euren Dank für sie vor Gott. Betet besonders für alle, die in Regierung und Staat Verantwortung tragen.“

Gott wäre verrückt, sagen die Atheisten, würde er den Lauf des Schicksals zugunsten eines Einzelnen verändern. Genau so ist es aber. Wegen unseres Gebetes lässt Gott Dinge geschehen, die sonst nicht geschehen würden: der Mauerfall in der DDR, friedliche Revolution.

„Gott weiß das naturgesetzlich verfasste System Welt so zu handhaben, dass unsere Bitte nicht sinnlos und vergeblich ist.“(Voigt)

Unsere Bitte, unser Wort ist unser Auftrag. Beten ist keine harmlose Freizeitbeschäftigung für religiös Aktive, sondern konkrete Teilnahme am Weltgeschehen, Dienst der Kirche, Priestertum aller Gläubigen, das geschieht. Jeder darf das, jeder kann das, jeder soll das – Worte für die Welt riskieren, beten mit ganzer Kraft. Es gibt hier eine ganz klare Berufung zum Priestertum für die Welt, um betend für sie einzustehen, mit Absicht die Welt zu bewegen in die richtige, in die gottgewollte Richtung. Gott will bewegen durch uns und mit uns. Unser Wort bekommt ein neues Gewicht. Gerade dann, wenn alles gesagt ist und keiner mehr weiterweiß, wenn es keine Antwort zu geben scheint, wertet Jesus Christus unser Wort auf. Er bringt es ins Gewicht der Sympathie. In Gottes Zuneigung hat unser Wort ein ganz anderes Gewicht. Gerade dann, wenn ich mir selbst und keiner sonst mehr helfen kann, fängt Gott erst an. „Sprich mit mir“ heißt der Schlüsselsatz in diesen Grenzsituationen.

Es müssen nicht die großen Worte sein, die Mauern einreißen, Grenzen öffnen und Atomkraftwerke abschalten. Es kann ein ganz kleines Komma sein, das zwischen zwei Worten steht, das in der Kraft Gottes neuen Wert erhält. „Sprich mit mir“ – das gilt auch dann, wenn Freude und Begeisterung keinen Ausdruck mehr in Worten findet. Gott spricht uns in Christus an. Die höchste Form unserer Antwort heißt Eucharistie.

Eine Antwort

  1. Gott wäre verrückt, sagen die Atheisten, würde er den Lauf des Schicksals zugunsten eines Einzelnen verändern.

    Sagen wir das? Wo denn, und warum?

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