Größer durch Verkleinerung

Philipper 2, 5-11 – Predigt, Br. Markus

1,53 m, …,68, 1,78 – wie groß sind Sie eigentlich? Spätestens, wenn man einen Personalausweis beantragt, stellt sie sich, die Frage nach der Größe – also ohne Schuhe, im Stehen gemessen, nach unserem wirklichen Format. „Du musst dich größer machen, als du bist“ sagen die Werbefachleute. „Nur so kann man erfolgreich sein.“ Wer nicht von steigenden Absatzzahlen und wachsender Rendite verfolgt ist, hat keinen Platz mehr in unseren Tagen auf unserer topmodernen, riesengroßen Bühne des Lebens. Wer nicht als Säugling schon ein I-phone hat, das er im Kindergarten zeigen kann, hat keine große Zukunft vor sich. So – – scheint es.

Nicht so bei Gott. Anders, ganz anders entfaltet er sich, genau genommen genau umgedreht. Im Zeitalter des Powerns und Klotzens, des Siegertypendaseins, macht Gott seinen eigenen Sohn zum Verlierer. Er macht ihn klein, winzig fast, um etwas großes zu bewirken in dieser Welt.

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1. Gott verzichtet

„Jesus Christus. Er wurde rechtlos wie ein Sklave, er wurde, wie jeder andere Mensch. Er lebte als Mensch unter Menschen. Er erniedrigte sich selbst.“

Jesus Christus, Gottes Sohn – Gott macht sich eine Nummer kleiner, um Mensch zu sein. „Nur um etwas will ich mehr sein als ihr“ sagt Gott zu Adam und Eva. Gott macht sich klein – er tritt aus seiner Licht- in unsere Schattenwelt, aus seiner Freude in unsere Traurigkeit, aus seiner Gewissheit in unsere Zweifel, aus seiner Ruhe in unseren Stress. Gott tritt heraus aus seinem Tag hinein in unsere Nacht, aus der Wärme in die Kälte – wie ein Schneeschauer in die Aprilsonne. Gott macht sich klein, so klein wie wir sind in unserem Denken, Fühlen, Wollen und Tun. Gott macht sich so klein, wie man als Mensch so ist, zentimeter-, millimetergroß. Staubkorn in der Wüste, Tropfen am Eimer, Wind, der verweht – Gott macht sich klein. Er verzichtet auf seinen großen Auftritt, er verzichtet darauf, beklatscht, gefeiert, umjubelt zu sein. Gott macht sich klein. Er ist nicht der erhabene Guru, der limousinengroß an seinen Anhängern vorbeifährt, sich bestaunen lässt. Gott steigt aus – auf die Straße des Lebens, auf den Asphalt. Das hätte er nicht nötig. Das muss nicht sein. Er ist auch ohne uns Gott – ganz allein. Aber er macht sich klein.

Christus verzichtet auf sein angenehmes, ungestörtes, harmonisches Leben, um Mensch zu werden und zu sein. Gott unterbricht seine ewige Welt, um in Christus ein befristetes Dasein zu führen, menschengleich unter uns, befristet, kämpfend, allein. Verzicht – ein Verlust an Lebensqualität, Wellness und Beauty ist das für ihn. Gott macht sich zu einem gequälten, gefolterten, blutenden und schreienden Etwas, das unappetitlich sterben muss – gekreuzigt, um einer von uns zu sein. Er verzichtet – nicht nur auf sein Recht. Gott lässt sich für uns die Decke auf den Kopf fallen. Gott liefert sich in Christus unserer Ungerechtigkeit aus, unseren verdrehten Ansichten, vorschnellen Meinungen und gierigen Machenschaften. Gott macht sich in Christus allein unter uns, auf gepflegte Gesellschaft verzichtend. Er verzichtet nicht auf sein Recht, aber auf das Recht, es durchzusetzen. Er verzichtet nicht auf seine Gerechtigkeit, aber auf sein Recht, sie zu fordern. Er verzichtet nicht auf sein Gesetz, aber auf die Pflicht, es zu erfüllen.

In Jesus Christus beginnt die völlig neue Art des Gott-seins. Menschlich Gott sein oder göttlich Mensch sein durch Verzicht auf eines von den beiden – vielmehr absolute Vereinigung dieser zwei Dinge. Der Mensch kann nicht gerecht sein, deshalb ist er auch kein Gott. Deshalb sind alle Ideologien, die so was predigen, Irrtum. Menschen naschen verbotene Früchte im Paradies, lügen und verstecken sich. Gott tut so was nicht. Gott kann verzichten. Er hat die Kraft dazu. Das ist der wesentliche Unterschied, im Gott und Mensch-sein der erste Schritt in die Gemeinsamkeit.

Deshalb kann Christus auch nicht bloß ein nachamenswertes Vorbild sein. Dafür schlummert zu wenig Energie in uns. Christus ist Gott – verzichtender Gott, verzeihender Gott, liebender Gott, erste Hilfe, greifbar für uns durch Christusgehorsam.

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2. Gott gehorcht

„Christus erniedrigte sich selbst und war Gott gehorsam bis zum Tod, ja bis zum schändlichen Tod am Kreuz.“

Christus kann, was Menschen nicht können. Christus kann, was Adam und Eva nicht konnten: Gott Gott sein lassen, Gott größer sein lassen, gehorchen, verehren.

Gehorsam

Nicht umsonst ist der Gott-ferne Mensch zunächst ein Gott-ungehorsamer Mensch. Gehorsam wird oft als Schwäche ausgelegt, nicht fähig, eigene Ziele zu entwickeln, zu dumm, selber zu wissen, wo’s langgeht, nicht entscheidungsfähig, Betreuungsfall. Gehorsam – vom modernen Menschen eher belächelt bis abgelehnt oder bekämpft, ist für Gott eine der wichtigsten Eigenschaften. Wer nicht gehorchen kann, kann auch nicht glauben, wer nicht gehorchen kann, ist nicht gemeinschaftsfähig, wer nicht gehorchen kann, ist kommunikationsgestört.

Christus gehorcht. Ewige Gemeinschaft ist nur unter gehorsamen Wesen möglich. Christus gehorcht, weil er Zusammenhänge erkennt. Christus gehorcht, weil er weiß, dass Gott kein blinder Despot ist. Christus gehorcht, weil er einverstanden ist. Christus richtet seinen Willen nach Gottes Willen. Christus achtet auf Worte, die Gott spricht. Gehorsam ist für Gott niemals ein blindes Abarbeiten nach dem Master-Slave-Prinzip, sondern die höchste Tugend gegenseitigen Einvernehmens, auch dann, wenn dieses Einverständnis erkämpft werden muss. Gehorsam wird in Jesus Christus zur liebevollen, rücksichtsvollen Lebensgestaltung, zur heiligen Handlung.

Es kann nicht sein, dass christlicher Gehorsam mit brutaler Unterdrückung verwechselt wird, auch nicht mit frommer Unterdrückung. Zum Glück gibt es in der deutschen Sprache unterschiedliche Worte dafür. Christus gehorcht. Karfreitag und Ostern sind nicht die Ergebnisse fromm getarnter Unterdrückung, sie sind Glaubens- und Lebensereignisse. „Dein Wille geschehe“ – Christus war gehorsam bis in den Tod. An der Grenze vom Leben ins Sterben gibt es keine Brutalität – nur brutales Vertrauen. Das Karfreitagsgeschehen lässt keinen Rückwärtsgang zu. Der Tod am Kreuz kann nicht zurückgedreht werden. Gehorsam bis in den Tod geht nur im Vertrauen. „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ – da lässt sich nichts, aber auch gar nichts festhalten. Es gibt keine Versicherung, dass es nach dem Tod wirklich weitergeht. Gehorsam bis in den Tod – Vertrauen, dass es weitergeht. Christus stirbt nicht dort, wo um Ehre, Recht oder Geltung gestritten wird, er stirbt an einem einsamen Ort, allein auf das Wort seines Vaters. Christus gehorcht. Gehorsam in Freiheit, gebunden durch die Liebe des Vaters. Gehorsam bis in den Tod wird somit durch Jesus Christus zum unerfüllbaren Maßstab für die christliche Kirche.

Gott macht sich eine Nummer kleiner – so klein, dass er seinen Sohn an Ereignisse ausliefert, die unkontrollierbar, unbeherrschbar, unvorhersehbar sind. Gott macht sich klein, weil er weiß, dass der Mensch nur in reduzierten Größenverhältnissen zurecht kommt. Die einzige Chance auf Zukunft liegt in Christus Hand. Sie zeigt Schlusspunkt 3

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3. Wahre Größe

Gott spricht in Jesus Christus die Menschheit an. Es kommt keine Reaktion. Gott sucht Kontakt – Mensch wendet die Blicke ab, Mensch weigert sich, zusammenzuarbeiten. Der Schöpfer wird ausgeschlossen von Festen, Feiern und dem Leben selbst. Man schreit ihn an, beschimpft, er wird laut ausgelacht. Sie äußern Kritik an ihm, lassen ihre Laune aus. Es herrscht eine feindliche Stimmung gegen ihn und seinen Sohn, Umgangston unfreundlich. Man stellt seine Entscheidungen in Frage, es werden Vorschriften gemacht, wie ein Gott zu sein hätte. Entschieden wird sowieso ohne ihn, hinter seinem Rücken wird er angeschwärzt. Gott wird von der Erde gemobbt. Aber das entmutigt ihn nicht. Er hat sich sowieso klein gemacht. Seine wahre Größe zeigt sich darin, dass er sich dem Adams- und Eva-Mobbing aussetzt. ER macht sich kleiner als wir – leidet uns aus in allen Sticheleien und Zickigkeiten, den Gemeinheiten des Tags. Im Garten Gethsemane steht Christus all das durch, was an Irrtümern und Fehlern der Weltgeschichte zusammenläuft – nicht, weil’s ihm Spaß macht, sondern weil es anders nicht läuft. Gott hat sich in seinem Sohn so klein gemacht, wie ein Mensch sich nie klein machen würde. Seine wahre Größe ist, für die Fehler anderer geradezustehen. Jesus Christus ist auf der Suche nach sich selbst über Leute wie uns gestolpert, über Leute wie Sie und mich. Seine Selbstverwirklichung hat uns zu dem gemacht, was wir sind: Menschen mit großer Zukunft.

Wahre Größe – für Christus Tod. Christus hat sich klein gemacht, damit wir groß rauskommen vor Gott – und so. Darum hat Gott ihn auch herrlich zu sich erhoben und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen steht. Nicht wir, Gott selbst findet das passende Format, bestimmt über wahre Größe, was groß und größer ist. Deshalb ist unsere Bewegung auf Christus und in Christus keine riesengroße fromme Aktion, sondern ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg, den er gehen heißt – auch dann, wenn es ein Kreuzweg ist. Gott hat sich klein gemacht. Er hat dadurch nicht einen Zentimeter verloren, sondern wahre Größe zugelegt.

Er mutet uns neue Bewegung zu. Er hilft uns, nicht zu schweben, sondern zu gehen, Schritte zu tun – vielleicht auch in Schuhen, die für uns fünf Nummern zu groß erscheinen. Was wahre Größe ist, entscheidet er – nicht ich. Vor uns steht eine unendlich große Auferstehungshoffnung. Sie hilft, den nächsten, kleinen Schritt zu tun – trotz aller Schritte, die vergeblich waren, trotz der zu kleinen Schuhe, trotz aller Hindernisse und Stolpersteine. Der auferstandene Christus hat wahre Größe, konkurrenzlose Höhe. Er hilft, in den Tiefpunkten durchzustehen. Gott hat sich am Karfreitag eine Nummer kleiner gemacht. Er hilft uns durch die Auferstehung, auf ihn zuzugehen.

Das ist drei Nummern zu groß für uns. Orientieren wir uns dabei an Christus, um in diese Schuhe hineinzuwachsen – rät uns jedenfalls Paulus in seinem Brief an die Philipper.

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