Liebe ist mehr als Liebe

  1. Kor. 13, 1-13  Predigt: Br. Markus

 

„Kommen Sie auch aus Dettingen?“ Die Frage ist an sich nichts Ungewöhnliches, hat mich aber noch nie so verblüfft, wie vor 14 Tagen – 1.500 km von Dettingen entfernt, auf einer kleinen, einsamen spanischen Insel, auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt. Sie saß in ihrem Auto, das direkt neben unserem geparkt war, die Fahrertür stand offen. „Was macht die denn da!“ dachte ich noch. „Ich hab auf Sie gewartet.“ sagte sie „schon über 10 Minuten – weil auf der Fahrertür „Die Blumenmönche“ stand. Mein Mann und ich sind vor 18 Jahren ausgewandert, und immer, wenn wir in Deutschland sind, kaufen wir in Ihrem Laden in Dettingen ein.“ Die Welt ist ein Dorf. Diese für uns fremde Frau hat uns zu einem Abendessen eingeladen in ihr Haus. Ein tolles 3-Gänge-Menü, im Kerzenschein serviert, obwohl ihr Mann verunglückt im Krankenhaus lag. Eigentlich hätte ihre Lebenssituation soviel Gastfreundschaft nicht zugelassen. Obwohl wir sie nicht kannten, obwohl sie nichts davon hatte, obwohl es ihr nur Mühe gemacht hat – hat sie uns diesen schönen Abend einfach so geschenkt.

Es geht im heutigen Predigttext um so ein Verhalten. Es geht um das, was die Kirche reich macht, um den wichtigsten Wert der Christenheit: Liebe.

 

1. Möglichkeit Gottes im Menschen

Ohne die Liebe bin ich nichts beginnt Paulus das 13. Kapitel des Korintherbriefs. Die Liebe aber ist das Größte endet dieses Kapitel.

Die Liebe, die mehr ist als Liebe unter Menschen, ist Liebe Gottes, Neigung Gottes zum Menschen, heilige Zuneigung. Es geht um die übernatürliche Wesensart Gottes, mit der er uns liebt, die auf uns gerichtet ist, uns meint und will – Gottes Du-Beziehung zu mir, heilige Neigung Gottes, die mehr ist, als enge moralistische Betrachtung. Unendliche Zuneigung ist mehr als ein kurz aufwallendes Gefühl. Gott ist mehr, als nur so eine billige Hasch-mich-und-vernasch-mich-Nummer. Die „Liebe Nr. 1“ in der Welt ist der Weg über allen anderen Wegen. Es steht über dem romantischsten Thema der Welt. Es ist die beste Veröffentlichung, die es je gegeben hat, freizügigste und engste Moral zugleich.

„Liebe – und dann tue, was du willst.“ Formuliert Augustinus.

In seiner Erkenntnis wird klar, um wie viel größer Gottes Liebe ist. Gottes Möglichkeit in uns kommt von woanders her. Sie führt uns woanders hin. Sie kommt nicht aus unserem Wollen, Gieren und Geiern und führt uns nicht, wohin wir wollen und wünschen. Sie führt woanders hin. Sie ist mehr. Sie führt uns zu uns selbst, um uns von uns selbst zu befreien. Gottes Liebe ist eine Unmöglichkeit. Sie entzündet sich nicht an dem, was gefällt, berauscht, in Begeisterung versetzt oder anmacht. Sie liebt nicht, was offensichtlich liebenswert ist, sondern gegen den Schein. Sie ist Gottes Möglichkeit, zugleich unsere Unmöglichkeit.

Es ist unmöglich für Menschen, zu lieben, wie Gott liebt. Wir brauchen einen Grund für unsere Liebe –  Gott nicht. Wir brauchen einen Reiz, der uns entflammt – Gott nicht. Wir brauchen eine Schönheit, die uns inspiriert – Gott nicht. Gott liebt, weil Liebe sein Wesen ist. ER ist Liebe. Zuneigung ist sein wahres Sein. Riskiert man einen Blick in Gottes Wesen, stößt man auf ungebremste Zuneigung, Sympathie pur, Liebe allein, heiß. Nicht die Gebote und Verbote. Nicht der Zorn und die Rache. Nicht Gesetz und Gnade. Sondern Liebe ist Gottes Kern. Sie ereignet sich an mir als Geschenk, nur als Geschenk, gratis, für null, Bonus Gottes. Gottes Liebe ist seine Möglichkeit in mir, mich selbst zu genießen als sein Geschöpf, Wesen, das er geschaffen hat, Gegenstand seines Wollens. Ich bin geliebt, also bin ich. Ich genieße Gott in seiner Zuneigung, die mich geschaffen hat. Der göttliche Ursprung in mir ist mein Ich, mein wahres Wesen. Es ist nur eine kleine Melodie, kann aber in mir werden zu einem richtig großen Konzert, einem unsterblichen Lovesong.

Sympathie ist die erste Ursache meines Seins, meiner Lebenssymphonie – Sympathie Gottes allein. Gottes Möglichkeit in mir lässt mich in meinen Abgründen ein Zuhause finden, das ich akzeptieren kann. Das fühlt sich nicht ganz so romantisch an, wie ein Abendessen zu zweit bei Kerzenschein, wirkt aber nachhaltiger. Gott liebt mich ins Zentrum meiner Person. Seine Liebe ist keine Theorie. Geborgenheitserfahrung allein ist die Grundlage. Mein kleines, zerbrechliches Ich findet sich aufgehoben in einer ruhigen, großen, starken Hand. Allein in dieser Hand kann ich mich so entdecken, wie ich sein könnte, ausgestaltet durch seine Sympathie. Gott ereignet sich an mir, nicht ich ereigne mich an ihm.

Ein Ofen ohne Strom, Kohle oder Öl kann nie heizen, ein Auto ohne Benzin nicht fahren. Ebenso wenig kann ein Mensch lieben, ohne von Gott geliebt zu sein. Hohl und leer, dröhnend und dumpf ist dann sogar unser Glauben, wenn er sich nicht gründen kann auf Sympathieerfahrung. Gottes Liebe, seine Möglichkeit in uns, kann nicht künstlich erzeugt, erdiskutiert, erdacht oder erarbeitet werden. Sie ist Charisma – Gnadengabe, passiert einfach, wie ein Lächeln, das einer dem anderen schenkt.

Diese kleine Aufmerksamkeit Gottes ist

2. Das Herzstück unseres Glaubens

Liebe ist geduldig und freundlich. Sie kennt keinen Neid, keine Selbstsucht. Sie prahlt nicht, ist nicht überheblich. Liebe ist weder verletzend noch auf sich selbst bedacht, weder reizbar noch nachtragend. Sie freut sich nicht am Unrecht, sondern freut sich, wenn die Wahrheit siegt. Diese Liebe erträgt alles, sie glaubt alles und hält allem stand.

Alles ertragen
Alles glauben
Allem standhalten
Wer kann das? Was wird mir eigentlich dafür? Mach ich mich dabei nicht zum Affen? Wo bleibe ich dabei? Wo soll das denn hinführen, wenn’s alle so machen?

Allem standhalten – wenn ich richtig informiert bin, dann ist standhalten das Gegenteil von weglaufen, und es ist klar, dass es immer Grund zum Weglaufen gibt – immer, für alles, vor allem, für jede und jeden.

Liebe hält stand – allem!

Ich kann selbst unter Paragraph 14a Ziffer 2/B keine Ausnahmebestimmung finden. Das Brutale an der Liebe ist ihre Unbeschränktheit. Paulus hätte doch wenigstens einige Zusatzbestimmungen formulieren können, zum Beispiel so:
Die Liebe erträgt alles – bis auf die ständig nörgelnde Oma.
Sie glaubt alles – bis auf die Ausrutscher des untreuen Ehemanns.
Sie hält allem stand – bis auf die Überforderungen im Haushalt.
So ließe sich doch der Korintherbrief viel besser lesen.

Höchste Zeit für eine neue Übersetzung in gerechter Sprache!

Alles ertragen
Alles glauben
Allem standhalten

Da ist nicht etwa eine religiöse Volksverdummung angedacht oder eine Überforderung bis zum Gehtnichtmehr. Ein Journalist hat mir mal gesagt, dass ihm so ein religiöser Altruismus sowieso bloß auf die Nerven geht. Aber darum geht es nicht. Liebe ist die Langzeitgrundlage für’s Zusammensein, für dauerhafte Verbindungen – wenn man auch zugeben muss, dass das Ganze unmöglich zu leisten ist. Es geht aber hier nicht ums höfliche Grinsen, das man als Christ aufzusetzen hat, wenn einem der andere die größten Schweinereien serviert. Das Herzstück unseres Glaubens ist nicht der Austausch von Nettigkeiten, wenn unaufgeräumte Konflikte im Keller liegen. Gerade, wenn der andere sich als kompliziertes, schwer zu durchschauendes, leicht verletzliches, ja sogar unausstehliches Wesen entpuppt, fängt Liebe erst an. Liebe Gottes fängt da an, wo unsere Fähigkeit zu lieben aufhört, wenn der andere eben nicht so ist, wie er sein sollte oder ich wollte, dass er wäre, wenn die oder der mir eben voll auf den Zeiger geht, schon wieder danebengetreten, ausgerutscht oder generell total unmöglich ist. Standhalten heißt, dem anderen standhalten, weil in seiner Unmöglichkeit auch meine zum Ausdruck kommt, die Unmöglichkeit, so zu sein, wie Gott uns sieht.

Immerhin würde der andere ja gar nicht merken, was für ein Depp er ist, wenn ich’s ihm nicht sage. Der würde mir sowieso nichts mehr glauben, wenn ich es nicht wage, zu glauben, dass es für ihn nicht so leicht ist, meine Unglaubwürdigkeit zu ertragen. Der andere müsste eben anders sein, als er ist, leichter, smarter, schöner.

Der Theologe Voigt sagt: „Die Liebe ist angewandter Glaube an die Rechtfertigung. Die Liebe macht Ernst damit, dass Gott den Sünder gerecht spricht, in diesem Falle meinen Mitmenschen.“- der Typ, der mir auf die Ketten geht.

Gott spricht die alte Nervensäge gerecht – au weh, wenn das mal gut ausgeht – aber vielleicht auch gar nicht so schlecht, speziell dann, wenn ich es gar nicht glauben kann, dass ich selbst andere nerve! Gott spricht gerecht. In seiner Liebe verwandelt sich meins in deins. Meine Ungerechtigkeit ist auch deine Ungerechtigkeit, deine Gerechtigkeit wird zu meiner. So verwandelt sich im Herzstück unseres Glaubens das Ich ins Du. Unsere leichte Verletzbarkeit findet im leicht verletzbaren anderen ein Zuhause, nicht die Verdammung. Dieser Vollzug ist eine völlig verrückte Angelegenheit, so verrückt, dass man sie nur glauben kann, um sie zu leben.

Sie heißt: Liebe.

Liebe Gottes ist mehr, als nur Liebe. Sie ist weiter, tiefer, klarer als ich glauben kann. Es ist Drehung unseres Herzens hin zum anderen, Drehung, die niemand wirklich vollbringen kann. Sie kann nur in Christus vollbracht werden. Das Herzstück unseres Glaubens heißt: Christus – der diese Liebe lebt, Christus allein macht liebenswert, dreht Ich ins Du. „So liebe nicht mehr ich, Christus liebt in mir“ muss es dann heißen.

Allein in Christus findet der Tod ins Leben, wird die Liebe zur

3. Brücke in Unendlichkeit

Wenn aber das vollkommene Gottesreich da ist, wird alles Vorläufige vergangen sein. Was aber bleibt, sind Glaube, Liebe Hoffnung. Die Liebe ist das Größte.

Liebe bleibt. Wenn die Welt vergeht, Marmor, Stein und Eisen bricht, die Schuld vergeben, alles andere vergessen ist, bleibt Liebe. Am Ende bleibt die Gesinnung Gottes, die immer so war und ständig um uns ist. Sie vergeht nicht, wie der schnelle Flirt mit dem Augenblick, sie bleibt, wie sie ist, unverdünnt uns Menschen zugewandt.

Noch sehen wir rätselhaft, wie in einem Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“

Liebe bleibt – schwierig zu wissen, was genau diese Liebe gebietet, schwierig zu entscheiden – jeden Tag neu. Aber wir sehen wenigstens eine Kontur, wie in einem verschwommenen Spiegel. Es gibt ein Ziel, auch wenn es noch schattenhafte Züge trägt. Liebe Gottes bleibt. Sie bestimmt den Umgangston in dieser wie auch in der nächsten Welt, führt uns hinüber vom Heute ins Morgen. Liebe ist die ewige Währung in der Inflation unserer Zeit. Sie ist mehr, als des Vogels Flug in den unendlichen Himmel, sie ist mehr als Geigenklang im Singsang der Welt. Sie ist die angebrochene Zukunft unter uns. Liebe überdauert in alle Zeit, bis in die Ewigkeit. Liebe ist alles, Liebe ist mehr – schön, dass es diese Liebe gibt.

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