Über den Wolken

Matth. 17, 1-9
Reinhard Mey besingt schon lange dieses erhebende Gefühl von grenzenloser Freiheit da oben. Das Schweben durch Raum und Zeit, wo wir den Boden unter den Füßen verlieren. Abzuheben, weit weg sein vom Tageskram. Über tägliche Belastungen drüberfliegen. Welche Befreiung, wo man im Adlerblick auf die winzig gewordene Welt herunterschaut. „Alle Ängste, alle Sorgen liegen hinter Wolken verborgen.“ Fliegen ist schön. Besonders, den atemberaubenden Blick von oben zu genießen. Gerade dann, wenn der Kapitän noch einen eleganten Schlenker über die abendglühenden Alpen macht. Spätestens, wenn uns die freundliche Stewardess auf dem Rhein-Main-Flughafen verabschiedet, spüren wir wieder den grauen Asphalt unter den Solen. Doch dieses Fliegen hinterlässt seine Spuren.
3 Jünger hatten mit Jesus ein Gipfelerlebnis, das ihnen nicht in den Kleidern stecken bleibt.
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1. Er leuchtet 

„Jesus ging mit Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes auf einen hohen Berg. Sie waren dort ganz allein. Da wurde Jesus vor ihren Augen verwandelt: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider strahlten hell.“
Auf dem Gipfel eines hohen Berges passiert etwas, was die Beteiligten total überwältigt hat. Würde das nicht in der Bibel stehen,  sondern wäre Zukunftsroman, könnten wir’s sogar glauben. Wenn in der Bibel etwas steht, was außerhalb der Gesetze von Raum und Zeit steht, werden plötzlich enthusiastische Technik-Freaks zu Buchhalternaturen. So was kann und darf nicht sein. Über den Wolken passiert etwas. Christus leuchtet! 
Manche reden von Wahnvorstellungen, andere von Gewittererscheinung. Der Fischer Petrus hat sicher nicht das Profil eines Rauschgiftsüchtigen, noch dürfen wir die Jünger für beschränkt halten, dass sie kein Gewitter kennen. Die Bibel unterscheidet sehr sauber die verschiedenen Wetterphänomene. Christus leuchtet! 
Vielleicht gibt’s ja eine ganz natürliche Erklärung – vielleicht aber auch nicht. Was ist, wenn das Ganze tatsächlich ein Wunder ist? Wenn es tatsächlich übernatürlich ist? Wir suchen nach Erklärungen und merken nicht, dass wer Unerklärliches erklären will, über seine eigenen Denkfehler ausrutscht. Wer sich Außergewöhnliches nicht vorstellen kann, wird es nie erleben. Übernatürliches lässt sich nie natürlich erklären. Wer es versucht, wird daran vorbeileben. Es gibt zwischen realer Wahrnehmung und der Vorstellungskraft teilweise keine scharfe Grenze. Man kann das bei stark visionären, oder künstlerischen Menschen feststellen, dass sich ein äußeres mit innerem Schauen durchdringt. Alle Wunder der Natur haben sich nicht den Wissenden, sondern den Suchenden erschlossen. Der kritische Verstand wird zu Recht als Tugend gepriesen.  Wer aber nicht mehr staunen kann, vertrocknet auf höchstem Niveau. Wir wissen, dass mit Überschreiten der Schallgeschwindigkeit die Gesetze der Aerodynamik sich ins Gegenteil verwandeln. Warum sollten in der Begegnung mit Jesus Christus nicht auch die Gesetze von Licht und Finsternis Verwandlung erfahren? Christen brauchen Phantasie,  um nur den Anfang eines Gedankens zu denken, den Gott denkt.
Christus leuchtet. Es geht um richtig viel Licht – Lichterfahrung. Aus der Medizin kennen wir bei klinisch toten Menschen, die zurückgeholt wurden, Lichterfahrung, Wärme-, Freiheits- und Geborgenheitsgefühl. Diese Menschen sind doch nicht verrückt, nur weil sie dort Licht erlebt haben, wo der Verstand uns sagt, dass Dunkel sein müsse: im Tod.
Christus leuchtet. Das ist keine Phantasie, sondern eine Wirklichkeit, die erfahrbar ist.
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2. Er steht

„Dann erschienen Mose und Elia und redeten mit Jesus. Petrus rief: „Herr, hier gefällt es uns! Wenn du willst, werden wir drei Hütten bauen, für dich, für Mose und für Elia.“  Noch während er so redete, hüllte sie eine leuchtende Wolke ein, und aus der Wolke hörten sie eine Stimme: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich meine Freude habe. Auf ihn sollt ihr hören.“ 
Das ist der eigentliche Hammer bei der Erscheinung auf dem Berg. Faszinierend! Die Jünger können etwas bisher Unsichtbares plötzlich sehen – klassischer Fall von Grenzerfahrung. Gottes unsichtbare Welt öffnet sich für einen Augenblick – sind es Sekunden oder Stunden, man weiß es nicht. Da tickt keine Uhr. Wirkliche Lebenswelt schimmert für Augenblicke in unsere wirkliche Todeswelt. Zukunft ist greifbar nah. Was man bisher glauben musste, ist in diesen Sekunden gewiss. Zukunftserwartung ist plötzlich Zukunftserfahrung. Christus steht im Licht der zukünftigen Welt und strahlt in unsere Greifbare. Christus steht im Licht – in der Welt von morgen und das heute schon. Die Jünger können es sehen. Da ist Licht, soviel Licht, dass sie nichts anderes haben wollen. „Lasst uns Hütten bauen“ sagt Petrus. Menschen über den Wolken,  im Licht der ewigen Welt – sie stehen in Christus, der in dieser Welt steht. Für den Augenblick ist alles eins. Es macht keinen Unterschied, alles ist Licht – für den jetzt erlebten Moment.
  • schöner als ein Sonnenuntergang
  • schöner als Fliegen
  • schöner als daheim
  • schöner als einen Menschen lieben.
In Christus zuhause sein. Licht ist der Personalausweis, den Gott seinem Sohn ausstellt. Christus steht im Licht – ob in unserer gelebten oder der erwarteten Welt, ist dabei gleich. Wir können es nur nicht immer sehen. Er steht unter uns, so wie unter Mose und Elia und unter den lebendigen Menschen, die um Gott leben.
Aus dem Stehen in dieser unendlichen Gesellschaft leuchtet er nicht nur, sondern…
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3. Er redet

„Bei diesen Worten fielen die Jünger erschrocken zu Boden. Aber Jesus kam zu ihnen, berührte sie und sagte: „Steht auf! Fürchtet euch nicht!“ Während sie den Berg hinabstiegen, befahl ihnen Jesus: „Erzählt keinem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist!“
Sein Wort stoppt den Traum vom abgehobenen Christsein. Über den Wolken werden keine besseren Zeiten vermarktet. Christus spricht keine Baugenehmigung für die Hütten der Seligkeit aus. Über den Wolken herrscht heilige Diskretion. Über den Wolken führt Christus unter die Wolken zurück. Über den Wolken hat er die Farbe der Landebahn nicht vergessen – die ist grau. Nach Gipfelerlebnissen geht es wieder bergab an die Arbeit. Christus spricht. Was er sagt, beweist, dass er mehr ist: „Erzählt niemandem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ So verständlich unser Wunsch nach ständiger Glückseligkeit ist, so wenig christlich ist er.
Christus steht vor einem Kreuzweg, den Gott gehen heißt. Lichtdurchflutet fordert er zur Zurückhaltung auf. Er trägt in sich das korrekte Gleichgewicht zwischen Erkenntnis der Herrlichkeit und Bereitschaft zum Leid. Beides ist in ihm verbunden. Ein Glaube ohne Gipfelerlebnisse, ohne Erkenntnis von Herrlichkeit, ohne Wahrnehmung von Gotteswirklichkeit, kann nicht strahlen. Glaube, der über den Wolken schwebt, ohne Kreuzwege zu akzeptieren, ist gottloser Wahnsinn, blinde Träumerei, Opium fürs Volk.
Über den Wolken bleibt die Aufgabe, das Leben unter den Wolken zu formen. Ein Blick über die Wolken sollte eigentlich jeder Gottesdienst sein. Verwandlung ist Eucharistie. Der Verwandelte wandelt in Brot und Wein. Über den Wolken – das ist gar nicht so weit weg. Bleiben wir so eng es geht bei Christus. Gipfelerlebnisse sind Gottes Globulies, um Kreuzwege zu meistern.
Wir brauchen das Licht, wir brauchen die Grenzerfahrung von oben, damit wir unter den Wolken strahlen.

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