Im Geist der Wahrheit sein

Predigt vom 08.06.25- Pfingsten

Joh. 14,15-19

15 Wenn ihr mich liebt, werdet ihr so leben, wie ich es euch gesagt habe.

16 Dann werde ich den Vater bitten, dass er euch an meiner Stelle einen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt.

17 Dies ist der Geist der Wahrheit. Die Welt kann ihn nicht aufnehmen, denn sie ist blind für ihn und erkennt ihn deshalb nicht. Aber ihr kennt ihn, denn er wird bei euch bleiben und in euch leben.

18 Nein, ich lasse euch nicht allein zurück. Ich komme wieder zu euch.

19 Schon bald werde ich nicht mehr auf dieser Welt sein, und niemand wird mich mehr sehen. Nur ihr, ihr werdet mich sehen. Und weil ich lebe, werdet auch ihr leben.

Im Geist der Wahrheit sein

Überall, wo mehr als zwei Menschen zusammen sind, entsteht ein gemeinsamer Geist.

Jeder Mensch hat ihn auch für sich allein, seinen ganz persönlichen Spirit, aus dem und mit dem er denkt, handelt und lebt.

Man kann ihn nicht sehen, aber er ist da.

Man sieht es daran, wie er wirkt, was für ein Geist es ist.

Der Geist von Woodstock zeigt ein völlig andaeres Ergebnis, als der Geist der Briefmarkensammler von Hinterknattern auf der Jahreshauptversammlung.

Der Geist von Trumpp – ein anderer, als der von Mutter Theresa.

Der Geist, den Gott uns schenkt, ist auch ein völlig anderer. Er ist

  1. Für Blinde gemacht
  2. Damit wir sehen
  3. Was Wahrheit ist

1. Für Blinde gemacht

„Die Welt kann ihn nicht aufnehmen, denn sie ist blind für ihn und erkennt ihn deshalb nicht.“

Gottes Geist, der Geist der Wahrheit, kann nicht so ohne weiteres verwendet werden.

Es ist schon fast wie mit einem IKEA-Schrank: ohne Aufbauanleitung kriegt man das Ding nicht zusammen. Es ist eben nicht von Anfang an klar, wo das Brett Nr. 30 hingeschraubt werden muß.

Es gelingt eben nicht immer, von Anfang an zu sehen, woher was kommt und wohin es muß.

Irgendwie sind Menschen so gemacht, daß sie sich selber sehen können, ihre Gefühle, Gedanken und Ideen, die anderen aber eben nicht.

Die Welt und wir sind eher so gemacht, uns, nur uns, erst dann den Rest der Welt zu sehen.

„America first“, „Deutschland, Deutschland über alles“ – und so weiter und so fort.

Zur Grundveranlagung von Menschen kommen dann noch schräge Ideologien, die noch dunkler und noch einsamer machen, als die Grundveranlagung von Menschen selbst schon ist.

Die Fokussierung auf mich selbst ist der größte Booster für meine Blindheit gegen Gott.

Je mehr ich an mich selber denke, umso blinder werde ich für andere – das passiert ganz automatisch.

Je wichtiger ich mich selber nehme, umso unwichtiger werden die anderen zwangsläufig. Und so werden manche ach so spirituellen Wege zu Wegen in die Entfremdung, nicht nur gegen andere, sondern zuerst gegen mich selbst.

Der Heilige Geist, der Geist Gottes, will zu den anderen hin. Er will weg von diesem „Kuhstall-First-Denken“.

Er will uns zu Menschen ohne Scheuklappen machen.

Er will, daß wir sehen, wie es wirklich ist.

Heiliger Geist ist für uns gemacht.

2. Damit wir sehen

Für uns gemacht – nicht, daß wir uns auflösen, um in einem großen Ganzen zu zerfließen, sondern daß es uns gelingt, das große Ganze und uns darin zu sehen.

Öffnen heißt nicht Auflösung meiner selbst.

Es hat aber viel damit zu tun, sich selbst zu riskieren.

Die Augen aufzumachen, heißt zuerst einmal, sich selber anzuschauen.

Nicht, wie ich mich fühle, sondern wie ich bin zu sehen – da fängt es an, befreiend zu werden, aber auch extrem anstrengend.

Nichts ist so schwierig aufzugeben, wie meine Scheinwahrheit über mich selbst.

Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, will dazu Erste Hilfe geben, daß es mir gelingt, mich so zu sehen, wie Gott mich sieht.

Sehen lernen, wie ich wirklich bin,

also nicht, wie ich mich vermute, fühle oder weiß

also nicht, wie alle anderen mich vermuten, fühlen oder meinen zu wissen.

Der Geist der Wahrheit soll der Geist der Wahrheit Gottes sein, die allein gilt.

Der Heilige Geist ist uns geschenkt, daß wir die Liebe Gottes sehen, die uns umgibt, die uns meint, in der wir gut aufgehoben sind und für die wir so blind sind.

Der Heilige Geist ist speziell dafür gemacht, das Brett vor dem Kopf zu zersägen, das jeder von uns trägt und für so schick hält, den „Balken in unserem Auge“, wie es die Bibel an anderer Stelle nennt.

Es geht also um eine komplett holzfreie Sicht auf den Holzweg, auf dem man sich befindet – oder eben auch nicht.

Das ist das große Geschenk Gottes, daß er uns helfen will, ohne Brett vor dem Kopf zu leben, weil man das definitiv nicht braucht, so einen Verschlag.

Der Lockruf zum Abenteuer des Glaubens kann so der Lockruf sein, eine völlig andere Sicht der Dinge anzugehen, die  Wahrheit über die Welt aus einem anderen Betrachtungswinkel zu schauen.

Der Heilige Geist will Licht bringen in alle Hasenställe und zugemauerten Überzeugungen aller Art.

Es geht dabei aber nicht um ein psychologisches Phänomen, es geht darum, daß wir sehen

3. Was Wahrheit ist

Unser Markenzeichen: der Geist der Warheit – also nicht der Verzicht auf die eigene, ganz persönliche Sicht der Dinge, nicht der Verzicht auf den eigenen Standpunkt, sondern Öffnung, die Erweiterung, ist angesagt.

Was Wahrheit ist und was nicht ergibt sich ja nicht daraus, was ich für möglich halte oder die Mehrheit beschließt.

Was Wahrheit ist, ergibt sich aus dem, was ist.

Gott sieht Wahrheit als die Wirklichkeit über allen persönlichen Sichtweisen.

Gott sieht Wahrheit als das, was Tatsache ist, frei von Einfärbungen persönlicher Art.

Wenn ich das Gute gewollt habe, sieht er das, selbst wenn ich es komplett falsch angefangen habe.

Wenn ich getrickst habe, sieht er das, selbst wenn keiner was gemerkt hat.

Was Wahrheit ist, findet Raum vor Gottes Angesicht, und da bin ich gemeint, gewollt und gut aufgehoben mit allem, was ich tu und mach.

In dieser Wahrheit Gottes über mich findet wirkliches Leben statt.

Seine Wahrheit begleitet mich, durchdringt mich ganz, auf immer und ewig.

Der Geist der Wahrheit ist unser stiller Begleiter, Beschirmer und Beschützer, Tröster und Verteidiger, Kläger wie Richter.

Der Geist der Wahrheit ist kein Gespenst, das über uns schwebt.

Es ist der Geist, der mit uns mitreist zu allen Abenteuern des Glaubens und wenn es hohen oder flachen Seegang gibt.

Wenn das Haus gebaut wird oder abbrennt ist er der lebendige Atem Gottes, der alles verwandelt, was lebt.

Heiliger Geist ist keine neue Denkweise, der man sich anschließt  oder stille Überlegung, aus der man lebt.

Heiliger Geist offenbart sich. Er zeigt sich, so daß man die Bewegung spüren kann.

Der Theologe Stählin sagt: „Man kann diesen Geist nicht kennen, ohne ihn zu haben, denn man vermag immer nur das wirklich zu erkennen, woran man lebensmäßigen Anteil hat.“

Der Geist der Wahrheit läuft nicht weg von uns, selbst wenn wir selbst zum Weglaufen sind.

In seinem Geist läßt Gott sich auf uns ein, um uns zur Wirkungsstätte seines Geistes zu machen.

Lebendiger als das kann Leben nicht sein. Amen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert