Predigt vom 16.11.2025
Hiob 14, 1-6
Wie vergänglich ist der Mensch! Wie kurz sind seine Jahre! Wie mühsam ist sein Leben!
Er blüht auf wie eine Blume – und verwelkt; er verschwindet wie ein Schatten – und fort ist er!
Und doch verlierst du ihn nicht aus den Augen und stellst ihn vor dein Gericht!
Von Geburt an sind wir mit Schuld beladen und bringen nichts Gutes zustande – keiner von uns!
Die Jahre eines jeden Menschen sind gezählt; die Dauer seines Lebens hast du festgelegt. Du hast ihm eine Grenze gesetzt, die er nicht überschreiten kann.
So schau jetzt weg von ihm, damit er Ruhe hat und seines Lebens noch froh wird, wie ein Arbeiter am Feierabend!
Gott im Dunkel
Es gibt eine Stelle in der Nacht
wo selbst Schatten keinen Namen tragen.
Dort lagert die Stille, schwer wie Metall
und jeder Schritt fällt tiefer als der letzte.
Hiob ist an dieser Stelle angekommen.
Es geht im heutigen Predigttext um mehr als nur die Frage, ob man im Leben alles richtig gemacht hat.
Es geht um mehr als Müdigkeit, Müdigkeit an Gott.
Es geht um Zweifel, stark wie die Dunkelheit.
1. Schatten huschen
2. Licht bleibt
1. Schatten huschen
Wie vergänglich ist der Mensch, wie kurz sind seine Jahre. Er blüht auf wie eine Blume und verwelkt. Er verschwindet wie ein Schatten, und fort ist er.
Wie ein Schatten – jeder von uns ist so. In den Jahrtausenden der Weltgeschichte ist der Einzelne nicht mehr als ein Schatten – kommt und geht.
Wir wissen das auch. Trotzdem fällt es nicht leicht, jedenfalls dann nicht, wenn man ehrlich zu sich selbst ist.
Man muß da gar nicht als Zweifler geboren sein. Der moderne Mensch von heute versucht, ihn zu verdrängen, den Gedanken an Abschied, an Sterben und Tod.
Sicher – man ist so alt, wie man sich fühlt. Aber lässt er sich wirklich leicht ertragen, der Gedanke, daß es ohne uns weitergeht – eines Tages?
Die Frage nach dem Tod ist zugleich immer Frage nach dem Leben, und ob es weitergeht.
Da gilt nicht das, was einer wahrhaben will, sondern das, was ist, Ewigkeit und Zeit, Sein oder Nichtsein.
Aufblühen macht ja noch Freude – aber Welken wie ein Schatten?
Solange man noch keine grauen Haare hat, ist das ja immer leicht gesagt. Aber dann? Wem fällt es leicht, das Abschiednehmen!
Wenn die Zeit vergangen ist, steht die Frage auf, wie die Zeit genutzt wurde.
Hiob ist ein frommer Mann. Er muß sich nicht vorwerfen , sein Leben ungenutzt verjubelt zu haben.
Trotzdem stehen Zweifel in ihm auf.
Es ist kein leiser Zweifel, der schnell mal kommt und geht.
Es ist massive Dunkelheit, die sich in ihm aufbaut.
Jeder von uns weiß, daß eines Tages Leben zuende geht.
Jeder, der bewusst lebt, weiß auch, daß es Dinge gibt, die man anders oder besser hätte machen sollen oder können.
Der Zweifel in Hiob ist nicht die Ungewissheit, ob es Gott überhaupt gibt oder nicht. Das geht tiefer.
Er spricht in seinem Schlusssatz Gott direkt an, um von ihm in Ruhe gelassen zu werden.
„So schau jetzt weg von ihm, damit er seine Ruhe hat und seines Lebens noch froh wird, wie ein Arbeiter am Feierabend.“
Hiob – der Weg mit Gott hat ihn in die Enge getrieben, überanstrengt, ausgepowert und fertiggemacht.
Hiob wendet sich an Gott, um von Gott in Ruhe gelassen zu werden. Das ist verrückt.
Er bittet nicht um Kraft, die Schwierigkeiten zu ertragen oder die Probleme ganz zu beseitigen.
Er hört auch nicht auf, mit Gott zu reden.
Er bittet Gott, von ihm verschont zu werden.
Er sehnt sich nach dem Einfacheren, dem von Gott Unberührten, dem Leben ohne Gott – nach dem Motto: Laß mich doch einfach in Ruhe.
Gottesbeziehung als lästige, den Menschen überfordernde, erdrückende Angelegenheit.
Der Gott, der in der Dunkelheit wohnt, scheint Hiob nicht zu fordern, sondern zu überfordern.
Er erklärt sich nicht, er beseitigt keine Mißverständnisse, schein überhaupt nicht zu reagieren in dieser Phase des Wegs.
Allein in die Dunkelheit hinein muß der Glaube seinen Weg finden, schwer überschattet von allen Zweifeln.
Finster und Dunkel scheint er zu sein, der Gott, der dem Mensch das Sterbenmüssen zumutet und dabei noch das Auge offenhält, um ihn „ins Gericht zu ziehen.“
Kein Wunder, daß er an dieser Stelle so oft mißverstanden wird als gnadenloser, überwachender, rachsüchtiger, moralinsaurer Gott.
Erkennt ein Mensch sein Leben und dabei, daß es abläuft, erkennt er aber auch die eigene Gerechtigkeit.
Hiob ist so ehrlich zu sich selbst, daß er seinen Mangel an Gerechtigkeit erkennt vor Gott.
Es ist eben jener Moment, an dem die Atheisten hoffen, daß alles aus ist nach dem Tod.
Wenn die eigene Lebensleistung ungerecht ist – und das ist sie bei jedem Mensch – scheint der Gedanke an ein Nichts tröstlicher, als der Gedanke an einen richtenden Gott.
Gottes Auge lastet auf Hiob. Gottes Auge lastet auf der Menschheit. Er entscheidet, was richtig ist und was nicht.
Vor diesem scharfen Auge und diesem unbestechlichen Urteil kann Hiob nicht bestehen. Zu hoch hängt die Latte, zu steil ist der Anspruch Gottes, als daß ein Mensch genügen kann.
„Wir bringen nichts Gutes zustande – keiner von uns“ sagt Hiob – und „unsere Zeit vergeht.“
Überschattete sind wir – Überschattete unserer eigenen Fehlentwicklungen, Irrtümern und Vorstellungen, zu willensschwach, es zu ändern, zu kraftlos, um zu wollen.
Diese ungeschminkte Bestandsaufnahme ist, wie bei Martin Luther, der Augenblick der Gotteserkenntnis.
Ohne Gnade von Gott, ohne seine priesterliche Barmherzigkeit, läuft nichts.
Wir sind vom Tod überschattete Welt, die schnell vergeht – also Barmherzigkeit braucht, um nicht zu verblühen.
Es braucht etwas anderes, was genügt, um in Gottes Augen gerecht zu sein.
2. Licht bleibt
Doch über ihm hältst du dein Auge offen und hältst Gericht.
Gott richtet. Er richtet die Welt. Zur Zeit des Alten Testaments mit jenem großen Schatten des Todes auf einen Sündenfall.
Gott spricht Recht. Er hebt zu einem neuen Rechtsspruch an. ER ist in seinem Urteil aber vorbelastet.
Das weiß Hiob nicht.
Gott ist vorbelastet mit Sympathie für den Menschen, den er in Christus richtet.
In Jesus Christus kommt die Gerechtigkeit Gottes ans Licht, die in der Dunkelheit der Schuld vor Menschen verborgen war.
Gerechtigkeit Gottes bricht durch zu den Menschen, die in der Dunkelheit auf die Suche gehen nach Gott und einer Möglichkeit, vor ihm zu bestehen.
In der Gerechtigkeit Gottes kommt seine wahre Art zum Ausdruck, in der er die Sünde sieht und auch die Unfähigkeit des Sünders, sich zu verbessern.
Das trifft mit voller Wucht auf die gesamte Lebensleistung eines Menschen.
Gott spricht in Christus unser Leben gerecht – unser ganzes Leben, jede Sekunde, jede Minute, jeden Tag.
ER kann das und er darf das.
Das ist ein Urteil, das ins Schwarze trifft – für alle, die das glauben und haben wollen.
Gott spricht von der Dunkelheit ins Licht.
Er schafft uns auf die richtige Seite.
Sein Urteil ist ein Freispruch erster Klasse in sich – ein Gottesurteil, das jedem Tod die Zukunft nimmt.
In Christus endet die Anklage gegen mich selbst – eine Option des Schöpfers allein, der so verfahren kann, weil er höchste Instanz ist.
Dieser höchst ungewöhnliche Verfahrensweg ist juristisch einwandfrei und gründet sich in der priesterlichen Barmherzigkeit des Gottessohns allein, der nur darauf wartet, vom Menschen in Form eines Rechtshilfeersuchens in Anspruch genommen zu werden.
Was von unserem Leben dann bleibt, ist nicht mehr die Frage der eigenen Energie, sondern der gelebten Güte Gottes.
Gottes Urteil spricht frei vom Zwang, sich selbst zu befreien, wie von der Notwendigkeit, sich zu beweisen.
Gottes Schiedspruch gilt. Es reicht von jetzt an bis in alle Zeit, also in die Zukunft hinein, die uns erwartet.
Wo ein Urteil gesprochen ist, ist keine Anklage mehr möglich.
Dabei gilt der alte juristische Grundsatz: Unser Leben kann nicht zweimal verhandelt werden – durch nichts und niemand.
Gott ist in Christus vorbelastet zu unseren Gunsten. Er sendet im Heiligen Geist einen Topverteidiger zu mir für die Schatten, die auf dieser Welt liegen, zuerst für den Todesschatten allein.
Es ist Christus, in dem Gott uns durchschaut, aber trotzdem liebt.
Das allein gilt.
Die Schuld dieser Welt wird nicht eben so unter den Teppich gekehrt oder ignoriert, sondern ordnungsgemäß getilgt und entsorgt.
Das gilt, sofern man’s glauben kann.
Gottes Wirklichkeit ist barmherziger, als unsere Welt. Sie ist überirdische Justiz mit irdischen Folgen.
Im Vollzug endet die Angst.
Gottes Urteil gilt mehr, als meine Vermutung – selbst, wenn es eine Unschuldsvermutung ist.
Gottes wirkliche Vergebung ist besser, als von Gott in Ruhe gelassen zu werden.
Würde Gott Hiob in Ruhe lassen, müsste er sich tatsächlich Sorgen machen, ob und wie es mit ihm weitergeht.
In Jesus Christus tritt Gott aus dem Dunkel jeder Zeit – und für alle, die wollen – die Lebenden wie die Toten.
Gott richtet in Christus die Lebendigen wie die Toten. Das ist ein Vollzug, der etwas oberhalb der normalen Phantasie anzusiedeln ist, funktioniert aber trotzdem.
Gott schaut in Christus unser Leben an. Das kann auch unbequem sein.
Er lässt uns darum nicht in Ruhe, daß wir leben können. Das nimmt nicht den Schatten aus der Welt, pflanzt aber Hoffnung auf Leben in sie ein, speziell dann, wenn draußen im Wald dürre Blätter von den Zweigen fallen und vom Wind getrieben werden.
Immer, wenn kein Licht mehr bleibt
beginnt etwas leises zu glühen,
im Inneren des eigenen Schattens ein Funke
der sich erst im Dunkeln zu erkennen gibt.
Amen.
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