Da hast Du mich

Predigt vom 05.10.25

Jesaja 58, 9b-11

Beseitigt jede Art von Unterdrückung! Hört auf, verächtlich mit dem Finger auf andere zu zeigen, macht Schluss mit aller Verleumdung!

10 Nehmt euch der Hungernden an und gebt ihnen zu essen, versorgt die Notleidenden mit allem Nötigen! Dann wird mein Licht eure Finsternis durchbrechen. Die Nacht um euch her wird zum hellen Tag.

11 Immer werde ich euch führen. Auch in der Wüste werde ich euch versorgen, ich gebe euch Gesundheit und Kraft. Ihr gleicht einem gut bewässerten Garten und einer Quelle, die nie versiegt.

Da hast Du mich

Es gibt eine göttliche Lebensart, die anders ist als das, was man sonst so hat, anders, als wir sind und als alles, was um uns ist, anders, als menschliche Lebensart, anders, als die Welt, in der wir leben, in der wir ums Überleben kämpfen müssen, um unsere Rechte und um unser Dasein:

Gottes Lebensart in einer Welt, in der die Rohstoffe knapp, das Benzin teuer, die Miete überteuert und der Urlaub unerschwinglich ist.

Göttliche Lebensart in einer Welt, in der Geiz geil ist und nur der Cleverste gewinnt.

Gottes Lebensart in einer Welt, in der sich der Einzelne so teuer wie möglich verkauft.

Da hast Du mich – Gottes Lebensart, frei vom Feilschen um jedes einzelne Centstückchen.

Dankbarkeit ist größer als ich.

Weil Gott immer volle Kanne gibt, leben wir

1. Reichlich statt ärmlich

2. Frei statt verkrampft

3. Blühend statt welkend

1. Reichlich statt ärmlich

Da hast Du mich – Gott gibt sich ganz. Gott steht nicht an der Kasse, er kassiert nicht ein noch aus, er verschenkt sich, schon immer, immer wieder und immer noch.

Das ist zu allererst das Evangelium.

Gott ist ein Schenker-Typ, ausschließlich ein Schenker, sonst wären wir pleite, bevor wir geboren sind.

Gott gibt sich nicht ab und zu, sondern immer und ausschließlich gratis.

Das muß rein in unser kreditkartengroßes Kleinhirn.

Gott will nichts haben dafür, daß wir einen so atemberaubend schönen Planeten bewohnen dürfen.

Er will nichts haben für Sonnenschein, auch nichts für Windkraft und Wasser.

Das allein könnte Grund zum Feiern sein.

Jeder Kubikmeter Luft, den jeder von uns verschauft, würde selbst bei Aldi mindestens nen Euro kosten, vor Steuer, versteht sich.

Aber selbst wenn man als Unternehmer atmet, würde das allein das Dasein auch nicht steuerlich absetzbar machen.

Zu viele Menschen sterben noch an Hunger auf diesem Planet, als daß man’s schönreden könnte.

Gerade deshalb ist es Christenpflicht, sich bewusst zu machen, daß Gott kein Geizhals ist.

Er gibt reichlich in allem und von allem.

Die Erde ist groß genug, alle Menschen satt zu machen – was aber nicht bedeutet, daß es dem Einzelnen immer gut geht und daß der fromme Mensch nicht auch in Not geraten kann.

Gott ist und gibt reichlich. Großzügigkeit ist sein Programm, Überfluß sein Logo.

„Da hast du mich“ so heißt sein Wahlspruch.

Das macht uns

2. Frei statt verkrampft

Brich dem Hungrigen dein Brot – beseitigt jede Art von Unterdrückung, hört auf, verächtlich mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Gott hat eine konkrete Vorstellung davon, wie sich Dankbarkeit in dieser Welt verwirklicht. Es handelt sich dabei nicht um eine unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers. Es ist eine konkrete Zielvorstellung für alle, die mit ihm unterwegs sein wollen.

Es kann nicht sein, daß man göttliche Großzügigkeit genießt, ohne selber großzügig zu werden.

Es kann nicht sein, daß man sich beschenken lässt, ohne sich selber zu verschenken.

Die Dankbarkeit gegen Gott wäre dann nicht echt, wenn sie sich nicht auf mein Leben praktisch auswirken würde.

„Da hast Du mich“ spricht Gott.

Damit ist uns alles gegeben, um alles zu verschenken, immer und ausschließlich mit diesem konkreten Ziel.

Es soll nicht bei uns stecken bleiben, es soll sich in uns durch uns vermehren.

Ich bin Teil der Großzügigkeit Gottes, geboren, um diesen Reichtum zu vermehren, die Welt um mich herum zum Blühen zu bringen, nicht zum Verwelken.

Gott vertraut sich mir an, um durch mich weitergetragen zu werden, umsonst, aber nie vergeblich.

Das ist der Plan. Ich soll ein beschenkter Schenker sein, ein reicher Verschwender, ein begüterter Investor.

Eins nicht ohne das andere.

Christen müssen Investoren sein, weil Gott Investor ist.

Er investiert in eine marode Welt durch uns, durch Sie und mich.

Das ist nie frei von Risiko, weil keine Investition ohne Risiko ist. Es ist so riskant wie ich selber, der ich das größte Risiko für Gott bin, ob es sich lohnt oder nicht.

Gott macht mich frei vom ängstlichen Krampf und stellt mich in den größeren Zusammenhang.

„Da hast Du mich!“ – Gott will mich frei dafür machen, mich selber zu wagen: Es zu wagen, zu schenken – nicht nur ein bisschen, sondern ganz.

Frei statt verkrampft, soll diese Welt

3. Blühend statt verwelkt

werden

Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Ein starkes Bild, besonders jetzt im Herbst, wo die Bäume anfangen, bunt zu werden, in einem Jahr, das von starker Hitze und Trockenheit geprägt ist.

Nicht wie verbrannter Rasen sollen wir aussehen, sondern wie ein Blumenbeet auf der Bundesgartenschau.

Unser Erntedank soll ein tätiger Erntedank sein, ein alltagsprägendes Geschehen, die Lebensart Gottes zur gelebten Dankbarkeit werden.

Diese Dankbarkeit soll konkrete soziale wie auch zwischenmenschliche Auswirkungen haben.

Gott hat ein klares Profil für unseren Frömmigkeitsstil. Was wir genießen, sollen wir gemeinsam genießen. Gemeinsamer Genuß ist stark – teilen ist angesagt.

Der Theologe Jetter nennt es „ein Fasten, das Gott gefällt“ – tätiger Erntedank – eine religiöse Übung, die ihre Gestalt verändert.

Es ist nicht zwangsläufig der Verzicht auf Nahrungsmittel, die sowieso nur dick machen.

Es ist viel mehr der Verzicht auf die eigene Herzenskälte, die eine Zielvorstellung sein kann.

Es wird an keiner Stelle bei Jesaja gesagt, daß nur der ein guter Christ ist, der dem Bettler was zu essen gibt – obwohl das ganze Buch Jesaja eine starke Ausrichtung hat.

Dankbarkeit gegen Gott muß unbedingt die Augen öffnen für die Not des anderen in jeder Art.

Da ist es nicht damit getan, dem Penner mal eben einen Zehner auf’s Auge zu drücken.

Die Not in der Welt ist wesentlich größer.

Der Hunger in der Welt ist zum Teil verursacht durch die Geiz-Geilheit unserer unglaublich reichen Welt.

Da ist es angebracht, die Augen weit zu öffnen für die Bedingungen, unter denen billige Preise entstehen.

Wenn neun Fair-trade-Rosen im Laden 1,90 kosten, dann weiß ich zum Beispiel, daß dieses Angebot den Namen „Fair Trade“ nicht verdient. Soviel kann ich für unsere Branche sagen.

Das Gleiche gilt für Milch, Kartoffeln, Kaffee usw.

Wenn ich dem Hungrigen das Brot brechen will, kann ich z. B. dort einkaufen, wo wirklich fair getradet wird.

Ein modernes Fasten könnte ein Verzicht auf allzu billig produzierte Ware sein – auch wenn das nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Es kostet nur die Anstrengung, genau zu prüfen und nachzuschauen, was wie und wo und unter welchen Bedingungen entstanden ist.

Dabei ist es nicht damit getan, auf die großen Discounter zu schimpfen – das will auch der Prophet Jesaja nicht, zumindest nicht allein.

Es geht um Dankbarkeit als göttliche Lebensart, und die reicht wesentlich weiter als nur bis zum nächsten Supermarkt, wenn auch ausgewogene Lebensumstände mit dazugehören und wichtig sind.

Es geht darum, daß religiöse Übung nie zum Selbstzweck werden soll und kann, sondern den Bruder und die Schwester in ihrer Not erkennen muß.

Wenn Gebet und Meditation mit Scheuklappen stattfindet, ist es alles andere als gottgewollt, selbst wenn es zu barmherzigen Tätigkeiten führt.

Gelebter Erntedank findet mit offenen Augen, Ohren und Herzen statt für den oder die anderen, denen es nicht so gut geht.

Das kann der Asylant sein, aber auch mein Chef, mein Kunde oder Lieferant, jeder, der mir begegnet, der derjenige sein, der meine gelebte Dankbarkeit braucht.

Niemand soll in unserer Mitte unterjocht sein. So könnte ein modernes Fasten der Verzicht auf all die Hühnerhackerei sein, die beispielsweise morgen oder übermorgen wieder ansteht – in welcher Form auch immer.

Es gibt viele ganz kleine Herabstufungen, die Menschen sich gegenüber anderen Menschen herausnehmen.

Da ist es die reiche Dame, die den 58-Jahre alten Kellner behandelt wie ein 10-jähriges Kind, der Streifenpolizist den Parksünder.

Man kann es so oder so machen.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – es kostet also nichts, wenn man heute mal keine Verkäufer ärgern geht.

So kann modernes Fasten sein:

40 Tage keine Vermutungen über andere anstellen oder äußern, nicht einmal über Donald Trump.

40 Tage nicht besser wissen

40 Tage nicht urteilen über die Schlampe da drüben am Straßenrand – oder den fetten Beamten, der mir schon wieder den Tag versaut hat.

40 Tage lang erschrecken über mich und über die Tatsache, daß ich eigentlich gar nichts weiß über den, von dem ich glaubte, alles zu wissen.

40 Tage lang aufmerksam sein für die wirkliche Wahrheit – auch das kann gelebte Dankbarkeit sein, daß ich mich befreien lassen von meinem Urteil, meinem Gefühl, meinen eigenen Wahrheiten.

So kann meine fromme Übung das sein, was sie sein soll: Da hast Du mich.

Gott gibt sich ohne Vorbehalt und ohne Sicherheit.

Wem es gelingt, sich beschenken zu lassen, gilt die starke Verheißung des Propheten: „Ihr gleicht einem gut bewässerten Garten und einer Quelle, die nie versiegt.“

Amen.

 

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