Die Familie der Tat

Predigt vom 14.09.25

Markus 3, 31-35

31/32  Noch während Jesus sprach, kamen seine Mutter und seine Geschwister. Aber weil so viele Menschen bei ihm waren, kamen sie nicht an ihn heran. Deshalb baten sie, Jesus auszurichten: „Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern warten draußen. Sie wollen mit dir reden!“

33 Er gab zur Antwort: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?“

34 Dann sah er seine Zuhörer an und sagte: „Seht diese dort, sie sind meine Mutter und meine Geschwister.

35 Wer Gottes Willen tut, ist für mich Bruder, Schwester und Mutter!“

Die Familie der Tat

Alle Geschöpfe sind Gottes Familie.“

sagt Abul Kasim Mohammad ibn Abdallah, besser bekannt als Begründer des Islam.

Alle Geschöpfe sind Gottes Familie.“

-hätte der eine oder andere Attentäter seinen eigenen Propheten gelesen, würden tausende Familienmitglieder heute noch leben.

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß wüste Mord- und Totschlagsaktionen im Namen Gottes vollbracht wurden.

Die Mafia mordet und metzelt und wird nicht einmal rot dabei, wenn sie sich „ehrenwerte Familie“ nennt.

Es wirkt verdächtig, wenn einer sagt: „Wer Gottes Willen tut, ist für mich Bruder, Schwester und Mutter!“

Es geht um ganz neue Gemeinschaft, eine Familie der ganz anderen Art, eine Familie, in die man nicht ungefragt hineingeboren wird, sondern in die ich mich bewusst begebe.

Es geht um Familie im großen Stil der völlig neuartigen Zugehörigkeit, der Koinonia der Tat.

Revolutionär und radikal zugleich, was Christus da sagt. Seine Familie der Tat, die Christenheit

1. Kann trennen

2. Will verbinden

3. Verpflichtet

1. Kann trennen

„Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?“ fragt Jesus.

Mit dieser Frage macht Jesus klar, daß er sich in einer neuen Familie sieht, einer, die nicht den normalen Bindungen und gewohnten Strukturen unterliegt.

So kraß, wie es klingt, ist es auch.

Christus sieht seine bürgerliche Familie nicht als seine Familie an, in der er sich zuhause weiß. Er folgt nicht dem „Blut ist dicker als Wasser – Prinzip“

Und nicht nur das. Er zieht darüber hinaus Trennungslinien.

Irgendwie ist irgendwann eben nicht alles eins, christlicher Glaube kein Unverbindlichkeitsglaube nach dem „Schwamm-drüber-Prinzip“.

Es gibt ein Drinnen und Draußen, eben das ist der Unterschied, daß es klare Kontur gibt, eine ganz konkrete Vorstellung, und daß es nicht einfach ist, diese Vorstellung zu erkennen und zu leben.

Christlicher Glaube ist nicht beliebig. Er ist voller Freizügigkeit, aber eingebunden.

Christus sagt nicht „Wer meinen Willen hört oder erkennt“.

Er sagt nicht „Wer regelmäßig betet oder fastet.“

Er sagt nicht: „Wer viel in der Stille ist.“

Sondern er sagt: „Wer Gottes Willen tut“ .

Dieses Tun ist noch anstrengender, als es klingt, es riecht verdächtig nach Schweiß, nicht zwangsläufig nach Baustelle, aber unbedingt nach Arbeit, und zwar an mir selber.

Gottes Willen tun ist meine größte Herausforderung. Es ist eine Überforderung meiner selbst, weil es mich zwingt, meinen Selbsterhaltungstrieb zu kontrollieren, und das ist schon allein deshalb schwierig, weil es sich um einen Naturinstinkt handelt.

Der Mensch braucht zum Überleben seinen Egoismus. Wer zuerst auf das Wohl anderer schaut, geht selbst dabei drauf.

Das ist die Herausforderung des Glaubens, eben nicht sich selbst genug zu sein, sondern auch die anderen alle zu sehen.

Von der Liebe Gottes zu hören, ist das Eine, von der Liebe Gottes zu reden, das andere. Viel wichtiger ist, die Liebe Gottes zu tun.

Das Aktivieren entscheidet, wer drinnen oder draußen ist, das Tun allein.

Nicht die Konfession, nicht die Überzeugung, nicht das Für-Wahr-Halten oder das Bekenntnis.

Wer den Willen Gottes tut

Die Christusfamilie ist eine Aktivistenfamilie, definitiv nicht fürs Nichtstun gemacht, im Gegenteil.

Wer nicht tut, den sieht Christus draußen.

„Mit einer auch unter uns glimmenden Durchschnittsreligiosität regen wir niemand auf“ sagt der Theologe Voigt.

Wir wollen auch nicht aufregen, aber wir wollen in einer aufregenden Familie sein.

An der Seite von Christus kann es zu Trennungen kommen, die richtig wehtun und zu Verlusten, die man richtig spürt, eben weil lebendiger Glaube auch lebendige Auseinandersetzung zwischen Licht und Dunkel ist.

Wer nichts tut, grenzt sich selber aus.

Christus will aber nicht ausgrenzen. Die Familie der Tat will viel mehr.

2. Sie will verbinden

„Wer den Willen Gottes tut…“

Christus hat einen unglaublich großen Familiensinn. Seine Familie endet nicht bei Onkel und Tante, sondern geht weit über alle Grenzen hinaus.

Sie ist eine Familie der verändert lebendenden, wohlgemerkt nicht nur verändert denkenden, sondern verändert lebenden Familienmitglieder.

Das verlangt uns Gott ab, daß wir nicht in Schemen und Gewohnheiten schweben, sondern die anstrengende Auseinandersetzung mit jedem neuen Tag eingehen, die anstrengende Prüfung des und der anderen, des Tages und der Stunde und der Sekunde.

Kein Geringerer als Bonhoeffer hat viel darüber nachgedacht, was es genau bedeutet, im Alltag den Willen Gottes zu tun – sowohl privat als auch im Staat, unter den anderen Menschen.

Es kostet viel Kraft, das zu erkennen, was Gottes Wille ist, heute zum Beispiel, jetzt, in diesem Augenblick.

Es ist natürlich schnell gemacht, wenn ich mein Gefühl, meine Erkenntnis und meine Überzeugung zum Willen Gottes erkläre.

Was ist Gottes Wille und was nicht? Die Frage stellt sich mir immer, wenn der Wecker klingelt: Soll ich oder soll ich nicht?

Es wäre ja so einfach, wenn frühmorgens eine Christus-SMS auf’s Handy käme, was ich tun soll und was nicht, vielleicht das, was schon immer richtig war, denn was früher richtig war, kann ja heute nicht falsch sein – oder nicht?

Christus macht es uns nicht einfach damit. Er will die lebendige Auseinandersetzung, das dauernde Überprüfen, keine Schablonenlösung, keine Raster, keine fest verlegten Gleise.

Er will unser Wagnis, daß wir es wagen, unser Problem und unsere Fragen an ihn heranzutragen, daß wir es wagen, außer unserer eigenen eine andere, nämlich seine Sichtweise zu entdecken.

Das kann in erprobten Gleisen, aber auch in völlig neuen Bahnen sein.

Das ist das Spannende an dieser Familie, daß sie sowohl auf alten als auch auf neuen Pfaden wandeln kann.

Christus bewegt:  den, der immer das Neueste haben muß, auch mal auf ein altes Sofa und die, die Angst vor Neuem hat, sich was total Verrücktes anzutun.

Das ist das Familienprinzip: sich bewegen lassen.

Das braucht den stillen Raum, das Überprüfen und die Erkenntnis, was genau wann genau wo genau richtig ist.

Es braucht ebenso die Auseinandersetzung mit den Sichtweisen anderer.

Da ist nichts gemacht mit Harmoniesehnsucht eines Einzelnen.

Alle Wege des Glaubens, die in der Bibel überliefert sind, sind im harten Ringen um Erkenntnis entstanden.

Vor uns liegt immer das große Dunkel, die große Unsicherheit, in der alles gleichermaßen richtig wie falsch zu sein scheint.

Genau das macht den Unterschied, daß ich mich immer neu dieser Unsicherheit aussetze.

Es ist nicht nur in der Kirche viel gestorben, weil man sich sehr oft auf scheinbar sicheren, ausgetretenen Pfaden bewegt.

Natürlich kostet es manchmal noch mehr Kraft, an guten alten Traditionen festzuhalten, wenn er Wind der Modemeinung von der kalten Seite bläst.

Wäre Mose bei dem geblieben, was er sich vorstellen kann, würden die Israeliten heute noch beim alten Pharao sitzen.

Die Beweglichkeit für Gott ist das, was die Familie ausmacht,  neue Gemeinschaft jenseits aller Gruppierungen oder Vereine im Hasenstall-Format.

Gott will in Christus die Welt. Er will, daß alle an alle denken, weg vom Ein-Mann oder Ein-Frau oder Ein-Diverse-Verein.

Christus will die Familie mit Format. In ihm findet zusammen, was auseinanderstrebt, auch so schräge Vögel wie ich. ER will mich, damit ich die Welt lieben kann mit allem, was in ihr ist.

Weil er mich liebt, bin ich gefragt, Familienmitglied in Wort und Tat zu sein.

Seine Liebe ist es, die

3. Verpflichtet

Es geht nicht um Zwang, nicht um religiöse Vorschriften oder moralischen Druck, auch nicht um Engstirnigkeit.

Es geht um Wille Gottes, der für uns verpflichtend sein soll – und dabei ist klar, daß der Wille eines anderen nicht ins persönliche Ermessen gestellt ist, im Gegenteil.

Es ist unsere freie Entscheidung, Gottes Willen als bindend für uns anzuerkennen.

Wir gehorchen und glauben konkret.

Es ist unser gemeinsamer Glaube, daß Gottes Wille besser für die Welt ist, als mein eigener.

Deshalb betet die Kirche weltweit im Vater unser: „dein Wille geschehe“.

Auf der Suche und in den Mühen, den Willen Gottes zu tun, entsteht Kirche, die unsichtbare Verbindung, die größer und weiter ist als der Einzelne denken kann.

um Gottes Willen reich oder um Gottes willen arm

um Gottes Willen rechts oder um Gottes Willen links

um Gottes Willen frech oder um Gottes Willen brav

Ob ich rede oder schweige, ist dabei völlig unterschiedlich – kann beides jeweils richtig sein, aber nie unverbindlich.

In Christus verwirklicht sich Gottes Barmherzigkeit für die Welt. Er ist in allem und über allem Gottes Wille, der an mir geschieht.

In ihm allein wird seine Barmherzigkeit zu meiner Tat, zur gemeinsam gelebten Barmherzigkeit:

In Christus allein gelingt es der Familie, so zu sein, wie sie sein soll: eine Familie der Tat.

Wir sind nicht die ehrenwerte, sondern die liebenswerte Familie. Amen.

 

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