Tatü, tata

-Br. Markus- 1. Tim. 1, 15-17

Tatü, tata

Es gibt Rettungskräfte, die hört man nicht kommen. Sie bevorzugen leise Fahrt, huschen vorbei mit hundertfünfzig Sachen wie tanzende blaue Schatten, kaum daß man sie gesehen hat. Andere sind laut, unüberhörbar, mit gellender Sirene auf Einsatzfahrt, um sich durchzukämpfen, um irgendwo irgendwen zu retten, abzuholen oder beizustehen. Obwohl sie laut sind, haben sie das Problem, durchzukommen im modernen Verkehrsgewühl. Sie werden nicht bemerkt. Das Alltagsgedröhn scheint lauter als eine unüberhörbare Sirene auf Einsatzfahrt.

Um Rettung geht es auch im heutigen Predigttext, um eine Rettungsgasse auf außerirdische Art. Es geht um „unsere Rettung“ wie Paulus es nennt.

„…um uns gottlose Menschen zu retten.“ – mit oder ohne Blaulicht, auf Gottes Art.

1. Christus übt Erbarmen

Gott hat sich über mich erbarmt und mir alles vergeben, denn in meinem Unglauben wusste ich nicht, was ich tat. schreibt Paulus im Vorfeld des Textes. 2000 Jahre ist das her.

Brauchen wir das heute noch in unserer modernen Welt – einen Retter, einen, der uns mit Blaulicht und Sirene von unseren Sünden befreit – oder ist das nicht eher wie ein Kühlschrank in Alaska, Gottes Erbarmen? Keiner von uns war schließlich jemals ein Christenverfolger. Im Großen und Ganzen haben wir doch immer alles richtig gemacht, wenigstens unser Bestes gegeben – oder nicht? Erbarmen Gottes braucht man da doch eher nicht.

„Mir kann sowieso keiner helfen“ hat mir neulich ein Kunde gesagt – und man trifft sie immer wieder, jene ach so großen Sünder, die ihre Sünde für zu groß halten, als daß ein Gott sie je vergeben könnte.

Nichts überfordert menschliche Vorstellungskraft so sehr, wie das Erbarmen Gottes. Gott haßt die Sünde – aber nicht den Menschen, der sündigt. Gott haßt die Sünde, obwohl er den Sünder liebt. Jesus Christus ist die politessenfreie Zone Gottes in dieser Welt. Er sieht durchaus, was geschieht, aber er geiert nicht drauf und stellt uns nicht das Bein. Christus liegt nicht auf der Lauer. Er will kein Radarfallenjesus sein – so nach dem Motto: „Paß auf, kleiner Bruder, wenn du falsch parkst.“ – Nein, Christus geht viel tiefer rein. Christus übt Erbarmen. Erbarmen – die heilige Rührung Gottes erreicht den Menschen, und er versteht, daß es kleine Ausrutscher, Kavaliersdelikte oder Peanuts nicht gibt. Es ist keine Schande – nur logische Konsequenz im Menschsein. Die Sündenfallsgeschichte läßt nicht zu, daß wir als Gerechte den Planet betreten und fähig zur Gerechtigkeit wären. Sündersein ist der Anfang und nicht das Ende allen Seins. Gottes Erbarmen erreicht uns zuerst, ohne daß wir es gesucht hätten.

Auch Paulus muß vor Damaskus erkennen, daß er zu dumm war, den lebendigen Gott von selbst zu erkennen. Er erschrickt über sein Beschränktsein. Gottes Erbarmen errettet aus der Verwirrung der Gedanken. Gottes Erbarmen errettet aus der Trägheit der Masse – hinein ins Gottesbewußtsein. Jesus Christus – stark genug für das total vergeigte Leben des Saulus von Tarsus formt ihn zum Paulus von Damaskus.

„Die Tiefen der Sünde können im menschlich Großen und Bewundernswerten verborgen sein.“ sagt der Theologe Voigt.

Gerade an Paulus wird klar, daß auch ein engagierter frommer Mann sich total irren kann, auch wenn er glaubt, das Gute zu tun. Heiliges Mühen, heiliger Eifer, pausenloser Einsatz werden dem Saulus als Sünde enttarnt. Blind um Gottes willen, Haß aus edelsten Motiven – im Glauben, das Richtige zu tun, wurde Christus ans Kreuz geschlagen. Das braucht einen Christus, der sich erbarmt. Dieses Erbarmen heißt nicht, daß es künftig keine Irrtümer, Zweifel und Fehler mehr geben wird, aber daß wir in Christus fähig werden, sie als solche zu erkennen und zu akzeptieren. Gottes Erbarmen hilft dem Menschen, die  Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Gottes Erbarmen hilft, den Blick in den Spiegel auszuhalten – so, wie wir sind, ungeschminkt. Christus übt Erbarmen. Er hilft, Sünder zu sein. Er straft Sünder nicht ab – sonst müßte er die ganze Menschheit unschädlich machen oder zertreten, wie man eine Fliege zertritt. Er läßt aber nicht Sünder bleiben, sondern vermittelt Licht – in die Dunkelheit der Welt hinein. Christus ist die neue Perspektive für Lästerer, Verneiner, Lüstlinge und Gewaltmenschen. Sein Erbarmen reicht für alle, die frech oder übermütig handeln und mißhandeln, glauben, alleine auf der Welt zu sein.

Der Theologe Voigt sagt: „Die Sünde nimmt die Gestalt an, die sich aus dem Material ergibt, das die äußeren Lebensumstände eines Menschen, seine Chancen und Grenzen, seine Überzeugungen und Schicksale, sein Temperament und seine Probleme bilden.

Wer Jesus Christus zugibt, wird wahrnehmungsfähiger für die Sünde in sich. Er wird formbarer für das Erbarmen Gottes, begnadet oder charismatischer. Christus übt Erbarmen – nennen wir es charismatische Persönlichkeitsentwicklung, getragen vom Vertrauen.

Deshalb

2. Christus übt Vertrauen

Es ist eine kleine Gemeinheit Gottes, vielleicht auch eine bewußte Provokation. Unternehmensberater hat Gott nicht gefragt. Vielleicht ist es auch eine Grille des Schöpfers. Er besteht darauf, seine Kirche mit absolut unqualifizierten Leuten zu veranstalten. Was in der freien Wirtschaft ein Horror ist, leistet sich der alte Herr. Gott macht Kirche mit unkirchlich veranlagten Menschen, mit Menschen wie Du und ich.Seine Firma auf Erden soll eine Firma der ausgerutschten, fehlgetretenen Geisterfahrer sein – die Stolpervogel GmbH & Co. KG. Mitarbeiter darf nur sein, wer bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen ist. Qualifikation durch Disqualifizierung – was schwächelt in den Augen dieser Welt, das hat Gott erwählt. Wer sich wundert, daß Gott ihn noch gebrauchen kann, hat die ideale Voraussetzung für einen Job im Gottesreich.

Es geht nicht um eine religiös verbrämte Warmduschermentalität oder das neue deutsche sich selber Sackenlassen. Paulus war kein Schattenparker, und Jesus Christus auch nicht. Es geht um Über-sich-selbst-betroffen-sein.

Nochmal der Theologe Voigt: „Paulus hat das maßlose Überströmen der Gnade sofort als Beauftragung erfahren, als Einsetzung in den Dienst. Gnade und Apostelamt kann er nur in einen Atemzug nennen.“

Christsein und Nichtstun, Christsein und nur tun, was Spaß macht, Christsein und bremsen sind für Paulus unvorstellbar. Wer sich selber zwei Gänge runterschaltet im Dienst für Gottes Reich, dokumentiert damit eher ein reduziertes Gnadenverständnis. Gott leistet sich ungeeignete Leute nicht deshalb, weil er Dummies um sich rumhaben will, sondern weil er erfüllen will

Füllen mit Gedanken

Füllen mit Fähigkeiten

Füllen mit Gaben.

Fülle ist sein Ziel für leere Leute. Das ist das Managementprinzip für die christliche Kirche. „Meine Gnade soll nicht von euch weichen“ – alles spricht gegen uns, Christus importiert Vertrauenswürdigkeit in uns hinein. Christus überschreibt den Arbeitsspeicher menschlicher Fehlleistungen mit einer gewaltig neuen Information. „Du bist gerecht. Das alte ist gelöscht.“ Gottes Vertrauen wirkt nicht nur rückwärts. Gottes Vertrauen reißt nach vorne neue Möglichkeiten auf. Vertrauen gibt Gott nicht nur halb, er gibt es ganz. Der Führerschein ist nicht auf Probe, sondern jetzt und für alle Zeit. Es darf nicht nur, es muß damit gefahren sein. Gott verschenkt sich nicht in die Mottenkiste hinein. Dafür ist er sich zu schade. Seine Gnade, sein Vertrauen will unter uns aktiv sein – heute, morgen, draußen auf der Straße und überhaupt – nicht halb, dreiviertel – sondern ganz. Richtig im wirklichen Leben.

*Bei uns auf dem Wochenmarkt ist es immer ein Risiko, wenn Kunden ihre Ware zurückstellen lassen, ohne zu bezahlen. Ich riskiere gerne das Vertrauen und freue mich, wenn der Betroffene tatsächlich zwei Stunden später kommt, bezahlt und die Blumen mitnimmt.

Gott freut sich, wenn sich das Vertrauen lohnt, das er unvorsichtigerweise auf rein emotionaler Basis in uns investiert hat. Gott nimmt uns so ernst, daß er es mit uns riskiert. Das muß man sich vor Augen halten, wenn man über die eigene Risikobereitschaft nachdenkt. „Gott aber, den ewigen König, der unvergänglich ist und den keine menschliche Vorstellungskraft jemals erfassen kann, diesen einzig wahren Gott wollen wir bis in alle Ewigkeit loben und ehren.“

Paulus schreibt aus seinem Leben, aus einem Leben voller Risiko, aber auch voller Erfahrung.

3. Christus wirkt Anbetung

Anbetung wird nicht gemacht, sie geschieht. Sie geschieht von Sündern, von erfahrenen Sündern – erfahren in ihren Irrtümern, viel mehr aber im Reichtum und Vertrauen des auferstandenen Christus. Anbetung geschieht im Kreis der christusbetroffenen Menschen, die  die Gnade wirksam werden lassen, riskieren und erleben, was geschieht. Es ist wie ein Lied, das immer schon gesungen, nur darauf wartet, mit angestimmt und weitergetragen zu werden. Lobpreis Gottes ist und geschieht, bevor Mensch denken kann. Jedes Glaubensleben ist ein Vers mehr, eine Erfahrung reicher, etwas Vertrauen größer. Was außer Gott ist, gerät in Vergessenheit in diesem Spiel, das bestimmt ist von ihm und der Größe seines Vertrauens.

Anbetung geschieht in Christus – nicht nur sonntags im Gottesdienst. Sie findet in den gelebten, praktizierten Gnadengaben ihre ganz eigene Montags- bis Samstagsliturgie. Anbetung geschieht im Überwältigtsein über das, was geschieht, was ich mir selber nie zutraut hätte und was trotzdem geht. Anbetung geschieht in dem Moment, in dem Christus in mir geschieht. Gott ist gemeint. Gott ist alles. Gott füllt alles aus. Die Gnadengabe findet in Dankbarkeit zurück zu Gott, zu dem, der sie gibt. Wir sind gerettet, gerettet vor uns selbst, vor allem Abgrund, der in uns lebt. Unser Glaube wird dann lediglich zur Rettungsgasse, in der Gottes Gnade fahren kann.

Es gibt Rettungskräfte, die hört man nicht kommen. Sie bevorzugen die leise Fahrt und sind trotzdem unglaublich effektiv und stark. Amen.

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