10.12.17, Jes. 63, 15-16, 19b 64,1-3
Fotografie ist malen mit Licht. Es ist die Kunst die Kontraste von Schwarz und Weiß zu einem Kunstwerk zusammenzufügen. Die Gegensätze machen das Bild. Je stärker man die beiden Extreme herausarbeitet und gekonnt miteinander verbindet, umso eindrucksvoller die Geschichte die bleibt.
Einer der ganz großen noch lebenden Fotografen ist der Brasilianer Sebastiao Salgado. Immer wieder hat er die Welt in Licht und Schatten geschrieben und gemalt. Wie kaum ein anderer, hat er ein Portrait von Tragik und Hoffnung der Menschheitsgeschichte geschaffen. In einem riesigen Loch und Abhang hat der Rausch von über 50.000 hart arbeitenden Männern eingefangen, die in einer brasilianischen Goldmine ihr Glück suchten. In den achtziger Jahren gingen seine erschreckenden Bilder um die Welt, wie er in der Sahelzone die Hungersnot von Äthiopien dokumentierte. Zu Herzen gehende Geschichten, die mit Kontrasten gemalt wurden. In seinem Lebenswerk hat er den Himmel und Hölle der Erde in Licht gezeichnet.
Heute geht es um Kontraste, um Gegensätze im Glauben.
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Das helle Weiß
du vollbringst so furchterregende Taten, wie wir sie uns nicht vorstellen können. Denn noch nie ist einem so etwas zu Ohren gekommen. Seit die Erde besteht, hat noch niemand von einem Gott wie dir gehört oder einen Gott gesehen, der es mit dir aufnehmen könnte. Nur du kannst den Menschen, die auf dich vertrauen, wirklich helfen.
Ein Gottesbekenntnis, das alles in den Schatten stellt. Hier wird ein Gottesbild gezeichnet, das an Glanz und Leuchtkraft nichts zu wünschen übriglässt. Gott widerspruchslos alles in allem. Gott in seiner ganzen Heiligkeit und Unantastbarkeit. Ein Lobgesang und eine Anbetung in vollendeter Form, das nach dem großen Halleluja von G. F. Händel klingt. Das ist das Material, aus dem Reich Gottes gestrickt ist. Hier schwärmt ein Mensch über eine Erhabenheit, die über seinem Leben steht. Er erkennt die großen Zusammenhänge, in die das Dasein eingebettet ist.
In der Tiefe ist es das makellose Gottesbild, das in jedem Menschen schlummert. Das ist die heile Welt, nach der sich jeder sehnt. In dieses schöpferische Reich möchte sich der Mensch gerne hineinflüchten, um der trostlosen Welt zu entfliehen. Diese Herrlichkeit Gottes ist jedoch ein unsichtbarer Hoheitsbereich. Da gibt es nichts zu fassen und nichts zu begreifen. Das natürliche Denken kommt hier nicht mehr mit. Wo Herrlichkeit ist, kann man nichts mehr sehen, sondern nur noch glauben. Das helle Weiß ist für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar. Das reine Licht ist für Menschen unerträglich. Gott schützte z.B. Mose vor einer Überdosis Herrlichkeit, als er sich in eine Felsspalte zurückziehen sollte, damit Gott mit seiner ganzen Güte an ihm vorüberziehen konnte.
Herrlichkeit, unsichtbares, reines Weiß.
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Das dunkle Schwarz
Warum setzt du dich nicht mehr mit ganzer Kraft für uns ein? Wo sind deine großen Taten? Warum hältst du dich zurück? Schlägt dein Herz nicht mehr für uns? Ist deine Liebe erloschen?
Wenn das Leben zuschlägt, ist ganz schnell Schluss mit lustig. Wo der Mensch nur noch das sieht, was er vor Augen hat, fängt ganz schnell der Katzenjammer an. Nur sehen, beschränkt. Sehen ohne Glauben macht krank. Vor lauter Elend, sieht man keinen Gott mehr. Großes Jammern, wenn mehr schwarz als weiß da ist.
Warum mutet Gott meinem Vater einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt zu? Warum müssen wir unseren Enkel schon in jungen Jahren hinaustragen? Warum muss dieser Unfall passieren, wo ich mir doch keine Fahrfehler vorwerfen kann? Ist bei Gott die Liebe ausgegangen? Wo ich hinschaue, nichts mehr von der großen Güte, sondern nur noch Enttäuschung und Bitterkeit. Gebete sind Klagelieder und Vorwurfsgesänge geworden. In dieser inneren Zerrissenheit leidet der Glaube an seiner Vorläufigkeit. Der Verstand zerbricht, weil er etwas fassen will, was er nicht fassen kann.
Martin Buber sagt: „Die Gottesfinsternis ist der Zustand, in dem die Gotteswirklichkeit durch anderes verdeckt ist.“
Gottesfinsternis beschreibt das Sündersein. Es ist das Kreuz der Menschheit. Finster wurde es nicht, weil Gott sich zurückgezogen hätte, sondern der Mensch. Der Mensch ist der Anfang der Nacht. Somit gehört Anfechtung zum Tagesgeschäft des Glaubens. Die Welt ist für den Menschen fassbare, sichtbare und greifbare Materie. Wäre Gott ein Teil der begreifbaren und fassbaren Welt, hörte er auf Gott zu sein.
Das ist die Anfechtungssituation die niemand überspringen kann. Das Kommen Gottes im Advent, ist ein Glauben, aber noch nicht Schauen. Im Glauben entsteht das eindrückliche Lichtgemälde mitten im Schwarz.
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Die Kunst der Kontraste
Du, HERR, du bist unser Vater. »Unser Erlöser« – so hast du von jeher geheißen. Ach, Herr, reiß doch den Himmel auf und komm zu uns herab!
Die besten Bilder in der Fotografie entstehen, wenn der ganze Dynamikumfang von schwarz und weiß voll ausgeschöpft werden. Wenn eines von beiden überwiegt, wird das Foto milchig, graustichig oder zu hart und ohne charmante Zwischentöne. Die gekonnte Mischung schafft den Wert. Der Glaube ist die gekonnte Mischung zwischen Herrlichkeit und Anfechtung, zwischen Gotteserkenntnis und Sündenerkenntnis, zwischen Vollkommenheit und Vorläufigkeit. Advent mischt den offenen Himmel mit der aufgerissenen Erde. Da malt Christus mit der Schuld der Welt ein neues Bild. Da zeichnet das Licht seine Geschichten in die Nacht. Wo sich diese beiden Gegenpole verbinden, entsteht ein neues Kunstwerk. Das Heil ist Gottes Kunstwerk, das sich zwischen Krippe und Kreuz entwickelt.
„Er hat sich so mit uns verbündet, dass trotz der Unsichtbarkeit Gottes, trotz der noch bestehenden Anfälligkeit unseres Glaubenslebens, trotz der Unentrinnbarkeit des Sterbenmüssens, unser Kindesrecht bei Gott – „du bist doch unser Vater“ – außer jeder Frage steht.“ sagt Gottfried Voigt.
Weil Christus herabsteigt, ist der Himmel offen. Da sehen nicht die Augen die Herrlichkeit, sondern da erfährt der Glaube den realpräsenten Gott. Wo die Anfechtung und die Brüchigkeit des Menschen zum Himmel schreit, glaubt sich der Glaube gegen Gott zu Gott durch. Ohne diesen Kampf, ohne diese spannungsgeladenen Gegensätze, könnte der Glaube kein Vertrauen zu Gott aufbauen. Echter, wahrhafter Glaube wird erst im Widerstand zum Sehen, zum Glaube.
„Du bist mein Vater, gerade dort wo ich nichts mehr verstehe.“ „Du bist mein Vater, auch wenn die ganze Welt über mir zusammenbricht.“ Der Glaube gibt Gott dort recht, wo Augen und Verstand das Gegenteil behaupten. Im menschlichen Widerspruch und in der größten Anfechtung, geht ihm dabei der Himmel auf. In den größten Kontrasten entsteht das Geheimnis des Glaubens. Er braucht die Nacht, dass darin ein Licht aufgeht. Er braucht das Unglück, das man darin die Übermacht von Herrlichkeit erfährt.
Ein Leben, das nur weiß enthält, wäre ein schwärmerisches Leben, das keine Bodenhaftung hätte. Es wäre nur ein frommer Schein. Das Leben, das nur schwarz enthält, würde hoffnungslos in der Vergänglichkeit untergehen. Es würde in der Lethargie stecken bleiben. In der Harmonie der Gegensätze bewegt sich der Glaube. Da malt das ganze Gott Sein, mit dem ganzen Menschsein, ein wertvolles, unvergleichliches Kunstwerk.
Entsteht da nicht ein Bild, das um die Welt geht und Herzen unvergesslich berührt?