Erst denken, dann glauben

Sonntag, den 09.10.16 -Predigt: Br. Markus-

Prediger 4, 17-5,1

 

Ich persönlich bin ja nicht der Typ, der zum Fahrradfahren einen Helm aufzieht. Nicht, weil ich das Risiko liebe, ne, so’ne Plastikschüssel aufm Kopp steht mir einfach nicht – oder? Der Sicherheitsgurt im Auto hat mir schon einige Male das Leben gerettet. Erst, wenn man aus der Kurve geflogen ist, versteht man die tiefe Bedeutung des Satzes wirklich: „Erst gurten, dann starten.“ Zum Hören eines Musikstücks braucht man ihn jetzt nicht, den Sicherheitsgurt. Obwohl eine gute Musik unseren Geist in schwindelnde Höhen entführen kann, schnallt sich doch keiner von uns zum Musik hören an – oder nicht?

Ein genauso gespanntes Verhältnis scheint zwischen Verstand und Glaube zu bestehen. Braucht man Verstand, um zu glauben, oder glaubt man nur manchmal, zu verstehen? Ist das eine dem anderen manchmal nicht eher hinderlich? Ich will jetzt nicht behaupten, dass der Verstand der Sicherheitsgurt des Glaubens ist – viel mehr, dass der Verstand den Glauben gründet, beflügelt und braucht, um sich wirkungsvoll zu entfalten.
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1. Gott ist schöner und schneller als ich

„Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde“ heißt es im Text.

Es geht um Ehrfurcht vor Gott. Das ist mehr als Respekt, den Menschen sich zollen. Hut ab vor einer bemerkenswerten oder außerordentlichen Leistung, medaillenverdächtig, oskar- oder nobelpreisnominiert. Da steht man doch gerne auf, um zu applaudieren.

Erfurcht vor Gott ist viel mehr. Es geht nicht um den Gott, der irgendwo über den Wolken thront oder auch nicht, der nie da zu sein scheint, wenn man ihn braucht, weit, weit weg von dem, was daneben geht da unten, bei uns und überhaupt. Es geht um’s wirkliche Größenverhältnis Gott-Mensch. Wie groß ist Gott wirklich und wie groß bin ich. Wir staunen über das neueste Handy, über Gott staunt die Welt aber schon lange nicht mehr. Der moderne Mensch von heute hat Gott in sich – und das ist auch wirklich nicht zum Staunen. Anderseits staunen wir schon über die Navigationsgeräte, und wir vertrauen uns diesen kleinen Plastikdingern an, die uns an die Ziele unserer Reise führen – auf erstaunliche Art. Es steht außer Frage, dass ein Navi das kann, was ich nicht kann, den schnellsten Weg ans Ziel finden. Wir glauben schon, dass ein Satellit uns lenken kann, nicht weil er oben im Himmel, sondern draußen im Weltraum ist, aufgrund seines Abstands und seiner besseren Perspektive und seiner Software unser Fahren leiten kann. Trotzdem gibt es ihn von Apple oder Birne noch nicht: den Satellit, der unser Schicksal lenken kann. Physik und Mathematik reichen oft nicht einmal für einen zuverlässigen Wetterbericht. Unberechenbar wie das Schicksal, das zuschlägt oder begünstigt, scheint Gott.

Deshalb glauben ihn viele nicht, weil er zu unbeteiligt scheint, als dass ihn irgendwas kratzen würde, was hier geschieht. Dass ich Gott nicht verstehen kann, ist aber kein Beweis, dass er nicht ist, sondern völlig normal – sagt zumindest die Astrophysik. Wir können nicht einmal begreifen, was draußen im Weltall geschieht. Wir können nur versuchen, zu erforschen, ohne zu verstehen. Genau das tut und sagt die Bibel übrigens schon länger als die Astrophysik. Gott ist in einem mathematisch und physikalisch nicht benennbaren Raum, den die Bibel „Himmel“ nennt. Über den Wolken, unter der Erde, hinter oder über dem All ist er nicht. Er ist auch nicht in der Phantasie der Glaubenden oder der religiösen Übungen und Anstrengungen. Gott ist schöner und schneller als ich – so schnell, dass ich ihn nicht erdenken kann. Es ist schon eine Frage des Verstandes, dass ich verstehen lerne, dass Gott nicht zu verstehen ist. Männer verstehen Frauen auch nicht immer, Linke Rechte auch nicht. Dass ich den anderen nicht verstehen kann, ist kein Beweis, dass er nicht ist. Es gibt aber eine mathematisch präzise  Aussage über Gott, die die Bibel macht, sie heißt: Gott ist größer als ich. Das kennt doch jeder von uns spätestens sei der 5. Klasse: X ist größer als 2. Wir kennen X nicht, wissen aber, dass X mindestens 3 ist.

Gott ist größer als ich. Wer soviel nicht verstehen kann, kann auch nicht glauben, wird im Text „unverständig“ genannt. Wer das begreifen kann, wird
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2. Aufmerksam für dich und mich

„Besinne dich, bevor du zum Tempel Gottes gehst. Geh nur hin, wenn du wirklich auf Gott hören willst.“

Es geht um Gottesdienst, Gottes Qualitätsmanagement, sein schöpferisches Leitbild. Kino ist dazu gemacht, Spaß zu machen, Spannung zu erzeugen, zu gruseln oder zu belustigen. Der Tempel Gottes hat diesen Anspruch nicht – was nicht heißt, dass je trauriger, umso besser und je spassfreier umso heiliger wäre. Ganz im Gegenteil. Gott will in seinem Tempel ins wirkliche Leben. Nur darin ist er auch als Schöpfer schlüssig. Im Tempel, in seinem Haus soll sein Wort aus seiner Welt in unsere Wirklichkeit kommen. Das ist kein seichtes Unterhaltungsprogramm, sondern mehr, viel mehr, inhaltsreicher und tiefer und lebenslustiger, als das Münchner Oktoberfest, wenn auch auf völlig andere Art. Es gibt keine größere Lebenslust als christliche Auferstehungshoffnung. In der Kirche, im Gottesdienst will mindestens die Botschaft, das Wort davon Wirklichkeit werden. Musik kann unsere Gefühle bewegen. Das Wort will noch  mehr. Der auferstandene Christus ist viel mehr als das große Halleluja von Händel.

Gott will Veränderung, dass sich wirklich was ändert. Und ändern kann sich nur was, wenn sich Menschen ändern lassen. Ändern lassen kann man sich nur, wenn man erreichbar ist, ansprechbar. Wir sollen keine geschlossene Gesellschaft sein. Wir sind Club der offenen Ohren. Das Wort sucht unsere Antwort – zuerst Hörer, Menschen, die bereit sind, Gott zu Wort kommen zu lassen. Es geht um wirkliches Hören. Gott kann ein riesengroßer Störsender sein in meinem privaten Lebensprogramm. Das Wort unterbricht mich in meiner Meinung, meiner Laune, meinem Gefühl und Plan. Wirklich hören kann ich nur, wo ich mich unterbrechen lasse. Das ist eine Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Träumen. Das ist auch unangenehm. Darin ist wirklicher Gottesdienst unangenehm, dass er den wirklich Hörenden unterbricht. Gott ist eben auch einer, der am Lack kratzt, am Hochglanzcover meiner selbst. Da muss ich mir selbst gar nichts vormachen und auch den anderen nicht. Erst, wo ich mich selbst zugeben kann, kann ich wirklich hören – das Wort, SEIN Wort, die zweite, die professionelle Meinung über mich. Wort, das mich fragt. Wort, das befreit. Wort, das aufruft, eingrenzt und munter macht. Wort, das weiterführt und entschlossen macht, wahre Worte zu wagen. Wort, das ansteckt und aufbricht in die Sprachlosigkeit der Welt. Wort, das will, dass wir
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3. Mit allen Sinnen glauben

„Besinne dich, denke erst nach, bevor du betest, sei nicht zu voreilig.“

Kopf oder Bauch – das ist immer die spannende Frage. Die Bibel will hier keine Trennung – nicht „Entweder-oder“, sondern „Und-auch“ – gerade, weil Gebet nicht Wunschdenken ist. Einer der großen Gottesleugner unserer Tage findet es unsinnig zu beten, weil es nicht sein kann, dass sich der Lauf der Gestirne zugunsten eines Einzelnen oder einer Gruppe ändere. Genau das ist aber nicht nur die Hoffnung, sondern die Verheißung, die unserem Gebet gegeben ist – daraus auch die große Verantwortung des Betenden, nicht nur für das zu beten, was im Augenblick dem persönlichen Bedürfnis entspricht. Wenn das Gebet der christlichen Kirche den Lauf der Geschicke mit bewegt, hat sie darin ihre Mitverantwortung. „Denke erst nach“ – der Verstand steht dem Glauben nicht entgegen. Gerade dort, wo man sieht, dass außer einem Wunder nichts mehr helfen kann, ist Gebet nötig. Nicht aus der Laune, nicht nur aus Notwendigkeit kann es gelingen, mit allen Sinnen zu beten. „Denke erst nach“. Klare Rangfolge ist angesagt. Der Verstand ist nicht der Sicherheitsgurt das Glaubens, hilft aber, die richtige Richtung zu finden. Auch und gerade da, wo sich nichts ändert durch unser Beten, muss auch eine neue Auseinandersetzung stehen, ein neues Nachdenken über den Inhalt des Gebets. Es ist nicht einfach, als ein wirklich Hörender mit Gott im Gespräch zu stehen. Es ist so unbequem wie die Auseinandersetzung mit mir selbst, den anderen und unserer Art, die Welt zu sehen. „Denke erst nach“ heißt aber auch: „denke nicht nur nach“ – speziell dann nicht, wenn der Verstand stehen bleibt, wenn es keine Worte mehr gibt und alles gesagt ist, der Glaube wie eine unsterbliche Musik ist, die uns in ihren Bann zieht, emporhebt oder mitreißt, keinerlei sonstige Sicherheit braucht. Amen.

 

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