Römer 12, 1-3 – Br. Markus
Weil ihr Gottes Barmherzigkeit erfahren habt, fordere ich euch auf, liebe Brüder und Schwestern, mit eurem ganzen Leben für Gott da zu sein. Seid ein lebendiges Opfer, das Gott dargebracht wird und ihm gefällt. Ihm auf diese Weise zu dienen ist die angemessene Antwort auf seine Liebe. Passt euch nicht dieser Welt an, sondern ändert euch, indem ihr euch von Gott völlig neu ausrichten lasst. Nur dann könnt ihr beurteilen, was Gottes Wille ist, was gut und vollkommen ist und was ihm gefällt. In der Vollmacht, die mir Gott als Apostel gegeben hat, warne ich euch: Überschätzt euch nicht, sondern bleibt bescheiden. Keiner von euch soll sich etwas anmaßen, was über die Kraft des Glaubens hinausgeht, die Gott ihm geschenkt hat.
Er ist doch alles andere als das – vernünftig – der Gottesdienst – oder?
Paulus ist so frei. Er nimmt sich das Recht, klar zu machen, was vernünftiger Gottesdienst ist und wie er aussieht. Es geht um mehr als eine Veranstaltung Sonntag morgens. Vernünftiger Gottesdienst ist ein Lebenskonzept. Vernünftiger Gottesdienst ist die Antwort des Menschen auf Gott. Es geht also um unsere vernünftige Antwort auf Gott, und wie wir sie leben. Darin ist Glaube logisch – mit weitreichenden Konsequenzen.
Unser Gottesdienst, unser vernünftiger Gottesdienst ist…
1. Ganzheitlich
Gottesdienst ist nicht irgendwas, nicht religiöse Veranstaltung, an der man teilnimmt oder auch nicht. Zuallererst ist Gottesdienst Reaktion – Reaktion des Menschen auf Gott. So wie ein kleines Dankeschön, das man spricht, wenn man was geschenkt gekriegt hat.Weihnachten ist zwar vorbei, aber so ein kleines Dankeschön ist nicht nur Frage der Erziehung, sondern Bedürfnis, ja Pflicht, hat man was geschenkt gekriegt. Jeder von uns freut sich, wenn sein Geschenk beim anderen ankommt – die CD, die Pralinen oder die Blumen, der fette Scheck von Oma – da sagt man doch „Danke“ – wär’ zwar nicht nötig gewesen, aber – man nimmt’s mit. Danke ist guter Stil, Danke ist Pflicht. Danke zeigt an, daß es angekommen ist, Freude gemacht hat oder eben auch nicht.
Vernünftiger Gottesdienst ist zuallererst für Menschen, die fähig sind, Danke zu sagen – und zwar nicht allein jeder für sich beim Spaziergang im Wald oder hoch in den Bergen, sondern schon in einer gemeinsamen Veranstaltung, wo man sich trifft. Die Welt, die Gott sich vorstellt, ist nicht die Welt der einsamen Indianer, wo jeder vor sich hin reitet, sondern Gemeinschaft, vom Gemeinschaftsgedanken geprägt. Stille Momente können große Gotteserfahrung sein. Gott führt aber immer zur Gemeinschaft – Koinonia.
Vernünftiger Gottesdienst findet in der Gemeinschaft der Dankbaren statt, weniger in der erlebnissuchenden Gruppe. Die Dankbarkeit gegen Gott ist das, was verbindet. Sie hat unterschiedliche Auslöser, führt aber zum anderen, zur Gemeinschaft, zur konkreten Veranstaltung „Freude an Gott.“
Der Gottesdienst als Antwort sind schon mal 20 % eines Dankeschöns, das man sprechen kann. Die restlichen 80 % sind Gottesdienst des Lebens. In jedem Fall soll Gottesdienst ganzheitlich sein. Ob 50 zu 50, 60 zu 40 oder 75 zu 25 % ist überhaupt kein Thema. Unser Dankeschön soll sowohl in der Veranstaltung als auch im wirklichen Leben gelebt und gesprochen werden. Da kann und soll es keine Bruchstelle geben vom Sonntag in den Werktag. Das ganze Leben soll Gottesdienst sein, der am Sonntag zur Gemeinschaft der Feiernden führt, aus der Gemeinschaft der Feiernden kommt. Gerade wenn da eine Bruchstelle wäre, wäre der Glaube tatsächlich Wahn und Opium für’s Volk, nicht mehr als Rausch, Abwechslung oder Weltflucht für Stunden, strenge Pflicht.
Es geht um ganzheitlichen Gottesdienst – schon deshalb, weil nur der, der etwas hat, etwas geben kann. Ein ungetanktes Auto läuft nicht. Für Gott ist der Gottesdienst wichtig, weil er der Ort ist, an dem er sich verschenken will, der Ort des Wortes, des Wortes, das uns treffen und trösten soll, weniger unterhalten, aber auch der Eucharistie, der erlebten Barmherzigkeit. Gerade, wenn der Glaube zu einer vernünftigen Lebensgestaltung führen soll, braucht er vernünftige Orientierungs- und Erfüllungsmomente. Sicher kann jeder für sich die Bibel lesen. Auch so ist es nie verkehrt, sich seine Gedanken zu machen. Trotzdem will Gott den Menschen nicht jeden für sich befreien, sondern zur Gemeinschaft führen.
Es geht um ganzheitliche Verbindung gehörtes und gelebtes Wort, die
2. Nachhaltig
ist.
Weil ihr Gottes Barmherzigkeit erfahren habt, fordere ich euch auf, liebe Brüder und Schwestern, mit eurem ganzen Leben für Gott da zu sein. Seid ein lebendiges Opfer, das Gott dargebracht wird und ihm gefällt.
Gottes Wort trifft in eine Welt, die ganz und gar nicht so ist, wie sie sein soll. Es fordert zur Verwandlung auf. Das kann nicht im Schlaf passieren, auch nicht, wenn die Christenheit sich in eine Kirche setzt und stille ist, auf große Dinge wartet und betet. Es braucht Menschen, die sich hineinopfern, die sich verwandeln lassen, in Bewegung bringen, ganz. Die mechanische Seite Gottes – er will linke und rechte Hand aktivieren, um die Welt zu verwandeln. Es sind eben nicht nur warme Worte, sondern konkrete Arbeit, konkrete Hingabe gefragt, Hingabe an Gott für eine bessere Welt, Arbeit, die anstrengt, Opfer, das müde macht, verbraucht, Arbeit an Gottes Seite, die Opfercharakter hat, weil auch Gott sich geopfert hat. Gottes Wort will nachhaltig in uns wirken, den ganzen Menschen ergreifen und mobilisieren.
„Christliche Gottesverehrung ist weder rein geistige Sphäre, noch bloße Innerlichkeit“ sagt der Theologe Stählin.
Eben darin liegt seine Kraft, dass es nicht nur die Idee von einer besseren Welt ist, sondern die Arbeit an deren Verwirklichung. Der praktische Teil unseres Gottesdienstes findet in einer Welt statt, die von Gott wegstrebt. Dagegen zu wirken, kostet Energie, strengt an, tut weh. Es fordert heraus, ermüdet auch, so sehr, dass man manchmal nicht mehr weiter weiß. „Passt euch nicht dieser Welt an“ heißt es im Text.
Vernünftiger Gottesdienst geschieht in der Welt. Er will sich nicht über sie erheben, aber auch nicht zur Unwirksamkeit verdünnen lassen. Irgendein amerikanischer Professor hat mal gesagt, dass die christliche Kirche zu einem Mittel geworden wäre, das als Gift keinen umbringt und als Arznei keinen heilt – eben verwässert und gleichförmig ist. Gottes Wort ist ein Kontrastprogramm. Gott widerspricht Krieg, Hass und Gewalt. Das hat Gott nicht gewollt – auch wenn’s ihm immer wieder in die Schuhe geschoben wird.
Gelebter Gottesdienst ist Kontrastprogramm, etwas Fremdes, Neues und anderes, weil es aus Gottes Denk- und Sichtweise kommt. Es ist für die Kirche wichtig, darin weltfremd zu sein, dass sie eine andere Perspektive hat, was aber nicht heißt, dass sie wirklichkeitsfremd ist. Gottesdienst geschieht in dieser Welt, um die Welt zu verändern, wirksam umzugestalten in Gottes Sinn. Das gelingt nur, wo man den Mut hat, den Kontrast auszuhalten. Der Kontrast ist da. Er ist nicht künstlich herbeigeführt. Der Kontrast entsteht aus dem, was Gott sagt und die Welt lebt, nicht aus dem, was meinen Auffassungen entgegensteht. Es ist nicht unsere Aufgabe, zur Spaßbremse zu werden. Es ist kein Gottesdienst, der alles madig macht, was andere freut. Nicht alles, was gestern gut war, ist es auch heute noch. Gott ist und war nie ein platter Moralapostel. Es geht um Erneuerung von Herz und Sinn, somit um Erneuerung von Sichtweisen. An Gottes Seite enden alle Fertigurteile und –lösungen.
Wir müssen tiefer graben, um zu erkennen, was Gottes Wille ist. „Keiner von euch soll sich etwas anmaßen, was über die Kraft des Glaubens hinausgeht, die Gott ihm geschenkt hat.“ Auch darin besteht der Kontrast – nicht, dass ich mich selber finde und groß herausbringe, sondern dass ich meinen, den richtigen Platz, erkenne und ausfülle. Es ist weniger wichtig, was der Einzelne ist oder wird, wesentlich wichtiger, wie sich das Ganze, die Gemeinschaft, bewegt. Gott sieht das Ganze. Christus führt in die Besonnenheit, nicht in Ekstase. Besonnenheit macht vorsichtig, vorsichtig im Umgang mit mir selbst und den anderen um mich herum. Es entsteht heilige Achtsamkeit in Christus, untereinander und für die Welt. „Wir sind ein Leib und viele Glieder“ heißt es im weiteren Verlauf des Textes. Persönliche Identität soll nicht aufgelöst werden, sondern in der Gemeinschaft leuchten, als Ganzes, als großes Ganzes, so groß wie die Barmherzigkeit Gottes, die in uns wirkt. Das ist größer, als ich jemals sein kann, größer, als ich mir vorstellen kann, zu groß, um es zu begreifen – aber vernünftig, vernünftiger Gottesdienst. Wahre Größe in Gott erkennen und leben – ich bin wichtig, nicht wichtiger als andere, aber auch nicht weniger wichtig.
Nur in diesem Bewusstsein kann ich mir das antun. Nur, wenn ich das weiß, kann ich’s aushalten – auch und gerade an den Tagen, wo es sich anders anfühlt. Vernünftiger Gottesdienst ist nicht auf meine Gefühlslage begrenzt. Die ändert sich ständig. Gottes Warmherzigkeit bleibt immer gleich – gleich groß, gleich stark. Sie schwankt nicht. Deshalb vernünftig – vernünftiger Gottesdienst, weil er auch dann noch stattfindet, wenn ich’s schon gar nicht mehr glauben kann.
Vernünftiger Gottesdienst ist die gelebte und die gefeierte Barmherzigkeit Gottes in uns. Amen.